Thema der Ausgabe 2/2015:

Partizipation von schwerbehinderten Menschen

Für schwerbehinderte Personen hat Bert Brecht recht: „ … die im Dunkeln sieht man nicht“. Aber an dieser Personengruppe entscheidet sich der Anspruch der Inklusion.

 

Intro:

Josef Fragner, Chefredakteur

Partizipation von schwerbehinderten Menschen

Man fühlt sich an die Moritat von Mackie Messer erinnert: „Denn die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht. Und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht“, wenn man an schwerbehinderte Personen denkt, die in nahezu jedem Bereich des alltäglichen Lebens auf Unterstützung angewiesen, die mit herkömmlichen Lernangeboten kaum mehr erreichbar sind, die ständig Pflege und Zuwendung brauchen. Sie sind meist unsichtbar, im besten Fall haben sie noch einen Vornamen und werden selbstverständlich auch von unbekannten Menschen per du angesprochen, wie Wolfgang Jantzen aufzeigt.

Er hebt in der Menschenrechtsdebatte hervor, dass die Herausbildung eines Gefühls der eigenen Würde und der sozialen Zugehörigkeit grundlegend ist. Ihm geht es nicht um die heilsbringende Inklusion, sondern um die Überwindung von Ausgrenzung. Die schönen Worte Autonomie, Selbstbestimmung, Teilhabe oder Empowerment verkommen nicht selten zu sonntäglichen Leerformeln, die in Visionen und Missionen niedergeschrieben sind, aber kaum etwas an den sich verschlechternden ­Bedingungen ändern. Die Überwindung von Ausgrenzung muss sich in konkretem Handeln bewähren. 

Es gibt eindrucksvolle Beispiele, wie ein Weg zum gemeinsamen Lernen gefunden werden kann. Dies zeigt der Bericht von Michael Schwager. Aber auch er bemerkt, dass viele Fragen, Sorgen und Zweifel damit verbunden sind, die sich nur schwer verallgemeinern und lösen lassen. 

Heinz Becker geht mit seinen schwerbehinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hinaus aus der Fördereinrichtung – zur Gärtnerei, zum Bäcker, zum Gemüsehändler – und findet Nischen für sinnvolle Arbeit. Und beide Seiten verändern sich: der umgebende Sozialraum, aber auch die Fördereinrichtung.

Andreas Fröhlich plädiert sprachlich für das Wort Partizipation, es geht über Teilhabe hinaus, beinhaltet die Rechte eines jeden als Bürger und die aktive Teilnahme am gemeinsamen Leben. Wie diese Partizipation in alltäglichen Handlungen, beispielsweise beim Zähneputzen, konkret realisiert werden kann, das kann wohl keiner kompetenter darstellen als er.

Ursula Haupt hat sich ihr ganzes Leben für diese ­Personengruppe eingesetzt. Sie weiß um das Ziel der gegenseitigen Anerkennung, Wertschätzung und der aktiven Mitgestaltung des gemeinsamen Lebens, aber auch, dass Lernen einen persönlichen Sinn ergeben muss und „Handeln, Empfinden, Fühlen, Denken, Werte, sozialer Austausch, subjektiver und objektiver Sinn“ in Einklang gebracht werden müssen. Das ist eine riesige Herausforderung, die sich nicht allein mit Organisationsfragen lösen lässt.

Die eindrucksvolle Schilderung von Sandra Roth als Mutter macht deutlich, dass die Suche nach einem ­richtigen Kindergartenplatz für ihre Tochter Lotta ein mühsamer Weg ist. Viele Eltern berichten von ähnlichen Erfahrungen. Sie lässt aber auch einige Sternstunden auf diesem Weg durchblicken, wenn Lotta zu ihren Freunden will und ihr „Hei“ auch verstanden wird.

Der Anspruch der Inklusion entscheidet sich am Umgang mit schwerbehinderten Personen – konkret, jeden Tag, in jeder Begegnung.

 

Leseproben:

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Fachthema
Ursula Haupt

Partizipation als Bedingung für Entwicklung, Bildung und Lebensqualität

Es geht bei dem Thema „Inklusion und Schwerstbehinderte“ um das gesellschaftlich anerkannte und für alle Menschen gültige Ziel der gegenseitigen Anerkennung, Wertschätzung und der aktiven Mitgestaltung des gemeinsamen Lebens in all seinen Bereichen. Und gleichzeitig geht es um Menschen – hier insbesondere um Kinder – bei denen genau darin besondere Schwierigkeiten gesehen und angenommen werden.

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Report
Sandra Roth

„Hei!“ heißt: „Ich will zu meinen Freunden.“

Lotta soll in den Kindergarten gehen? Ben lacht. „Die kann doch gar nicht gehen.“ Lotta ist zwei und so schwer behindert, dass sie sich nicht einmal an der Nase kratzen kann. Ihr Bruder Ben ist fünf und einer der wenigen Menschen, die das Wort behindert so aussprechen wie blond oder kleine Schwester.

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Der Reisejournalist Andreas Pröve sitzt in seinem Rollstuhl auf einer staubigen Landstraße im Hochland von Tibet - Foto: Andreas Pröve
Grenzenlos Reisen
Andreas Pröve

Allein im tibetischen Hochland

Andreas Pröve hat sich ein großes Ziel gesetzt: eine über 5000 Kilometer lange Rollstuhlreise entlang des Mekong von Vietnam bis hinauf zu seiner Mündung im tibetischen Hochland. Dabei wird er mit ungeahnten Gefahren konfrontiert.

Inhalt:

Artikel
Partizipation als Bedingung für Entwicklung, Bildung und Lebensqualität
Partizipation und Menschen mit schwerster Behinderung
Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung
Autonomie und Selbstbestimmung1
Schwerstbehinderte Schülerinnen und Schüler in der inklusiven Schule
„Hei!“ heißt: „Ich will zu meinen Freunden.“
Allein im tibetischen Hochland
Meine Tochter Johanna
Nichts über uns ohne uns!
„Wenn sich Herzen öffnen und über Schatten gesprungen wird“
Teilhabe in der Arbeitswelt
„Nimm dein Leben selbst in die Hand!“
„Wollen Sie sich das wirklich antun?“
Licht und Schatten am Donaustrom
Das große Ganze
Die Entdeckung der „schizophrenen Meister“
Ohne Beine fällst du nicht mehr um