Ein älterer Mann mit Kappe, Brille und Weste lächelt auf dem schwarzweiß Foto. Text im Bild: Nicht ins Dunkel auch wenn sie gar nicht seh´n. Nicht ins Dunkel wer nicht hört, kann doch versteh´n. Pepo Meia. Traurig nehmen wir Abschied von Pepo Mayer

Josef (Pepo) Mayer 1955-2023

Foto: © privat
aus Heft 1/2023 – Aus Grolls Skizzenbuch
Erwin Riess

Pepo Mayer, ein unermüdlicher Kämpfer für Inklusion und Barrierefreiheit ist nicht mehr

Drei Jahrzehnte lang betrieb Josef Mayer einen von institutionellen und politischen Einflüssen unabhängigen Newsletter namens BMIN (Behinderte Menschen Inklusiv). Ich durfte ihn in konzeptuellen Fragen und mit einer Vielzahl von Stoffen und Geschichten unterstützen. Mit seinem plötzlichen Ableben verlieren wir einen großartigen Musiker und Behindertenaktivisten. „Pepo“ wurde 67 Jahre alt. Der folgende Nachruf wurde bei seiner Grablegung am Heiligenstädter Friedhof in Wien Döbling verlesen.

→ Nach der Ausrottung der Waldviertel- und Weinviertelindianer in den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts zogen einige Überlebende in die großen Städte, wo sie ihre Zelte in den Häuserschluchten und Gemeindebauten aufschlugen. So verhielt es sich auch mit dem legendären Stadtindianer Josef Mayer, besser bekannt als „Häuptling Rollender Donner“. Aus Gründen der Tarnung und der besseren Jagdgründe, die  – kein Mensch weiß, warum  – jetzt Heurigen und Supermärkte genannt werden, zog sich der Häuptling in den Wiener Nobelbezirk Döbling zurück, in dem wenige einfache Menschen und viele unermesslich reiche Rancher logieren. Nicht alle von ihnen haben ihren Reichtum auf redlichem Wege erworben. Näheres kann man in den Westernfilmen von John Ford und John Huston nachschauen. Der Film „Heaven’s Gate“ von Michael Cimino aus dem Jahr 1980, der die frühe Besiedlung Döblings durch kriminelle Viehzüchter und die Herrschaft ihrer Todesschwadronen behandelt, wurde von Döbling nach Kalifornien transferiert, wo Kris Kristoffersen und Isabelle Huppert in einem ungleichen Kampf unterliegen. Der große Michael Cimino ist an dem Projekt, das zum größten Flop der Filmgeschichte wurde, zugrunde gegangen  – die Hollywood-Bosse wollten die Wahrheit auf der Leinwand nicht ertragen.

Jahrelanges Ringen um Barrierefreiheit

Ähnlich erging es dem unermüdlichen und tapferen Kämpfer für Barrierefreiheit und Selbstbestimmung behinderter Menschen Josef Mayer. Auch als er sich den Zirkusspitznamen „Pepo“ zulegte, gelang es ihm nur in zähen Kleinkämpfen, da eine Rampe, dort eine behindertengerechte Toilette (wie auf der Donauinsel) und anderswo einen Lift zur U-Bahn durchzusetzen. Der hinhaltende Widerstand der Behörden war nerven- und kräftezehrend. Selbst um den kleinsten Fortschritt musste jahrelang gerungen werden. Mit den Jahren wurde Pepo nicht nur ein Experte in eigener Sache  – die Bestimmungen der UN-Konvention für behinderte Menschen aus dem Jahr 2008 waren immer eine Leitlinie seines Handelns –, gezwungenermaßen wuchs in ihm auch ein Experte für die „uneigennützige Gemeinheit“ der Bürokratie heran. Der Ausdruck stammt vom Geschichtsphilosophen und langjährigen Burgtheaterdramaturgen Friedrich Heer, und wenn man beider Lebensgeschichten vergleicht, wird man nicht nur Parallelen, sondern auch eine Wesensverwandtschaft entdecken. Wie Heer war Pepo bis zum Stakkato eloquent, außerdem teilten die beiden die Liebe zur Abschweifung in der Abschweifung. Politische Besprechungen mit Pepo gerieten solcherart manchmal zu existenziellen Grenzerfahrungen und für manches harte Wort musste man beim großen Häuptling später um Verzeihung einkommen. Die er immer gewährte. In den letzten Jahren wurden wir beide ruhiger und gelassener, wodurch die scheuen Zwillingspflanzen Freundschaft und Respekt besser wachsen konnten.

Nun höre ich, dass der „Rollende Donner“ seinen Arbeits- und Kampfplatz gewechselt hat und in den Ewigen Jagdgründen nach dem Rechten sieht. Ich weiß nicht, welcher Dämon die Himmlischen geritten hat, als sie Pepo aus dessen Döblinger Lager gerissen haben. Fest steht, es ist ein zum Himmel schreiendes Unrecht. Sie haben Pepo aus unserem Kreis entführt und wissen nicht, was sie sich damit eingebrockt haben. Das beschauliche Leben auf den Wolken ist jetzt vorbei, dafür wird Pepo sorgen. Wehe, es gibt zwischen den Wolken keine Rampen oder Lifte für den Aufstieg. Dann wird es ungemütlich in den oberen Stockwerken und die Welt wird das Schauspiel brennender Wolken sehen.

Was bleibt für uns, die wir jetzt ratlos um Pepos Sarg stehen? Ich halte mich an einen Satz von Bertolt Brecht, der im Gedicht „Lob des Revolutionärs“ sagt: „Wohin sie ihn jagen, dorthin / Geht der Aufruhr, und wo er verjagt ist / Bleibt die Unruhe doch.“ Es gibt einige Dutzend Teilnehmende an Pepos Nachrichtendienst BMIN und es gibt eine starke Hundertschaft versprengter Indianerinnen und Indianer, die Pepos Kampf für Inklusion und Barrierefreiheit fortführen. Die Erinnerung an ihn, einen unserer Besten, wird uns anleiten.

A viszont látásra, Pepo!

20. Jänner 2023, Heiligenstädter Friedhof