
Kamil Goungor reiste auch zum Gyeongbokgung Palace nach Seoul/Südkorea.
Kamil Goungor - Der „Trawheeler“, der Europas Behindertenpolitik in Bewegung bringt
Ein Porträt einer Persönlichkeit, die zeigt, was möglich ist – mit Mut, Selbstbestimmung und Reiselust.
Wenn Kamil Goungor durch die engen Gassen von Athen rollt oder bei einer Konferenz in Wien über die Rechte von Menschen mit Behinderungen spricht, trägt er mehr als nur seine eigene Geschichte mit sich. Er steht für eine neue Generation von Aktivist:innen, die das Konzept des selbstbestimmten Lebens nicht nur fordern, sondern es aktiv leben.
Ich kenne Kamil als klugen, humorvollen und politisch klaren Selbstvertreter im European Network on Independent Living (ENIL), einem europaweiten Zusammenschluss von Organisationen und Einzelpersonen, die sich für ein Leben in Selbstbestimmung einsetzen.
Vom Rand in die Mitte: ein Leben zwischen Polen, Griechenland und Europa
Kamil wurde in Polen geboren und wuchs in Griechenland auf. Er studierte Journalismus und Kommunikation. Wie viele andere Menschen mit Behinderungen erlebt er täglich, wie leicht man an den Rand gedrängt wird – aber er akzeptiert das nicht. Kamil lebt mit spinaler Muskelatrophie, einer schweren neuromuskulären Erkrankung. Doch er sieht nicht Defizite, sondern Möglichkeiten.
„Selbstbestimmtes Leben bedeutet, die gleichen Möglichkeiten und das gleiche Ausmaß an Selbstbestimmung zu haben wie nicht behinderte Menschen.“
Um mehr zu erreichen, gründete er mit anderen die Organisation „i-living“ – die erste griechische Initiative für selbstbestimmtes Leben. Eine zentrale Errungenschaft war die Einführung von Persönlicher Assistenz. Heute lebt Kamil in Athen genau das, was er politisch fordert: Mit einem Team von persönlichen Assistent:innen organisiert er seinen Alltag – in der Wohnung, auf Reisen, im Beruf.
The Trawheeler – Reisen als Akt der Selbstermächtigung
Kamil ist nicht nur politisch aktiv, sondern auch als Reiseblogger tätig. Als „The Trawheeler“ – ein Wortspiel aus „travelling“ und „wheelchair user“ – dokumentiert er seine Reisen. Stockholm, Danzig, Düsseldorf – Kamil reist dorthin, wo andere Ausreden finden.
„Cartoons haben meine Neugier auf die Welt geweckt. Deshalb habe ich angefangen zu reisen, obwohl viele sagten, es sei unmöglich.“
In seinem Blog zeigt er, wie Reisen mit Assistenz, begrenztem Budget und viel Kreativität für ihn möglich ist. Er beschreibt barrierefreie Hotels, Orte, Wege – und öffnet mentale Türen für Leser:innen mit und ohne Behinderung.
Sein Blogeintrag „Erste Gedanken nach Japan“ beschreibt diese Reise als Kindheitstraum – Japan wurde zu seinem Lieblingsziel.
„Es war ein faszinierendes Land, weit entfernt, modern und zugleich traditionell – und sehr barrierefrei.“
Barcelona und Straßburg bezeichnet er als besonders rollstuhlfreundlich. Das belgische Gent, wo er sechs Monate lebte, beschreibt er als Stadt, die sein Leben verändert hat – wegen ihrer barrierefreien Infrastruktur und der hohen Lebensqualität.
Mobilität auf Schienen – Bahnreisen als Teilhabe
Im Jahr 2021 nahm Kamil am „Connecting Europe Express“ teil – einer symbolischen Zugfahrt durch 26 Länder im Rahmen des European Year of Rail. Als einziger behinderter Reiseblogger im Projekt setzte er sich für barrierefreie Bahnhöfe und Assistenzsysteme ein.
Auch innerhalb Griechenlands nutzt er regelmäßig die Bahn. Für ihn ist Bahnfahren nicht nur Fortbewegung – es ist gelebte Teilhabe.
Politik mit Erfahrung – nicht nur aus Ideologie
Seit 2018 arbeitet Kamil als Policy and Movement Support Officer bei ENIL. Zuvor war er Vorsitzender des Jugendkomitees beim European Disability Forum (EDF) und Mitglied im Jugendkomitee der International Disability Alliance (IDA). Er bringt seine Erfahrung als Mensch mit hohem Unterstützungsbedarf ein – sowie einen besonderen Mix:
„Aus Polen habe ich Pünktlichkeit mitgebracht, aus Griechenland Einfallsreichtum und Freude.“
ENIL – ein Netzwerk für Selbstbestimmung in Europa
ENIL ist ein von behinderten Menschen geleitetes Netzwerk mit Mitgliedern in ganz Europa. Es setzt sich dafür ein, dass alle Menschen mit Behinderungen echte Wahlfreiheit und Kontrolle über ihr Leben haben. Zu den wichtigsten Instrumenten gehören Peer Support, Schulungen, Beratung und politische Lobbyarbeit auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene.
Peer Support, Persönliche Assistenz und klare Positionen
Kamil fordert keine kleinen Reformen – er will strukturelle Veränderungen. Persönliche Assistenz, Peer Support und das Prinzip des selbstbestimmten Lebens sind für ihn keine Programme, sondern Menschenrechte – so wie sie in der UN-Behindertenrechtskonvention verankert sind. Auch für ENIL ist Peer Support weit mehr als Hilfe: Es ist ein zentraler Baustein für Unabhängigkeit, Empowerment und Menschenrechte. Kamil hat dazu beigetragen, dass Trainings, Vernetzungsstrukturen, Praxisprojekte und europaweite Initiativen entwickelt und durchgeführt werden. Wenn Behörden, NGOs oder Organisationen Menschen mit Behinderungen nachhaltig unterstützen wollen, ist Peer Support ein wirksamer und legitimer Ansatz.
Mut, Mobilität und eine Mission
Kamil Goungor ist Europäer, Aktivist, Blogger und politischer Vordenker. Vor allem aber ist er ein lebendiges Beispiel dafür, dass auch Menschen mit hohem Assistenzbedarf ein selbstbestimmtes, mobiles, international vernetztes Leben führen können – wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
Deshalb braucht es Menschen wie ihn – und Menschen wie uns alle, die Barrieren abbauen, Unterstützung ermöglichen und Teilhabe verwirklichen wollen.
Infos:
Hier finden Sie Zugänge zu Kamils Reiseblogs und die Webseite von ENIL:
Reiseblog „The Trawheeler“
Website: thetrawheeler.com – Reiseführer für Menschen mit Behinderung, mit Reiseberichten zu über 30 Ländern ENIL+14thetrawheeler.com+14Spotify for Creators+14
Blogbereich (Länder & Beiträge): Direkt auf der Webseite („Blog“) gelistet
Soziale Medien von The Trawheeler
Instagram: @thetrawheeler – 5,8 Tsd. Follower, Reels und Bilder travel.gr+12Instagram+12Instagram+12
X (ehemals Twitter): @TheTrawheeler – Persönliches Reisetagebuch curbfreewithcorylee.com+2X (formerly Twitter)+2Facebook+2
Facebook: „The Trawheeler“ – 1.600+ „Likes“, aktiver Reiseblog Community-Auftritt Spotify for Creators+1thetrawheeler.com+1
ENIL – European Network on Independent Living
Offizielle ENIL-Webseite: enil.eu – Informationen zur Organisation, Vision, Mission, Projekte, Peer Support
„Peer Support for Independent Living – a Training Manual“: https://enil.eu/tools-for-advocacy/peer-support-for-independent-living-a-training-manual-2014/?utm_source=chatgpt.com
Autor:
Franz Wolfmayr, Mitbegründer und langjähriger Geschäftsführer der „Chance B Gruppe“ in der Steiermark. Von 2008 bis 2016 Vorsitzender des größten Europäischen Dachverbandes der Behindertenhilfe (EASPD – www.easpd.eu ), Mitbegründer und Gesellschafter beim Zentrum für Sozialwirtschaft GmbH (www.zfsw. at).
franz.wolfmayr@zfsw.at