Ein Tag im Leben von ...
„Wir öffnen einen Spalt zu einer vielfältigen Welt, die den meisten verborgen bleibt.“
(Josef Fragner, Chefredakteur)
Intro:
Ein Tag im Leben von ...
Ein Tag im Leben von …
Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung – so steht es im Gesetz. Noch vor 50 Jahren wurde in Österreich fast ein Drittel der schwerbehinderten Kinder mit dem Stempel „schulbefreit“ versehen und damit vom Zugang zur schulischen Bildung ausgeschlossen. Dagegen haben wir uns gewehrt: Wir haben die Grundlagen für eine Schule für alle – auch für sehr schwer behinderte Schülerinnen und Schüler – geschaffen, Lehrpläne geschrieben und die Lehrer:innen aus- und weitergebildet. Doch wie sieht die Situation heute aus?
Es ist nicht leicht, an verlässliches Datenmaterial zu kommen. Janna Degener-Storr und Sarah Kröger haben in Berlin recherchiert und kommen auf eine erschreckend hohe Zahl von Schüler:innen, die kaum beschult werden. Vergleichbar ist die Lage in Österreich, wo auch die Zahl der Schulsuspendierungen zunimmt. „Viele betroffene Eltern kennen die rechtlichen Grundlagen nicht im Detail. Und selbst Eltern, die wissen, dass ihr Kind zu Unrecht ausgeschlossen wird, haben oft nicht die Kraft, die Zeit oder das Geld, um sich dagegen zu wehren. Darüber hinaus kann es für Eltern auch emotional belastend sein, ihr Kind gegen den Willen der Lehrkräfte in die Schule zu schicken.“
Andreas Fröhlich, der sich wie kaum ein anderer für diese Personengruppe eingesetzt hat, zeichnet in seinem Beitrag „Wie war das mit diesen Kindern?“ die Entwicklung nach – von ihrer Rolle als Objekte der Mildtätigkeit und Pflege in einer sozialdarwinistisch geprägten Gesellschaft bis hin zu den Fortschritten der heutigen Zeit. Doch eines bleibt: „Mir scheint, dass Menschen mit schweren und mehrfachen Beeinträchtigungen immer vom Vergessen bedroht sind.“
Mit seinem Konzept der „Basalen Stimulation“ hat Fröhlich konkrete Schritte für die Arbeit mit dieser Personengruppe aufgezeigt. Sein Name öffnet weltweit Türen, und durch seine Mithilfe haben wir Stimmen gesammelt, die vom Alltag dieser Personen berichten.
Es sind Texte, die niemanden unberührt lassen: von Emanuela und ihrer Mutter Katarina, die sich weigerte aufzugeben und in halb Europa um ihre Tochter kämpfte. Von Charlie aus Italien, dessen Leben geprägt ist von Routine und Herz, von Disziplin und Fürsorge, von Arbeit und Spiel – und von der einfachen Freude am Alltag. Von den Sorgen der Mutter Jeanine Tchobozo um ihre zwei behinderten Töchter, Ena und Makafui, die in Lomé, der Hauptstadt Togos, leben. Und von Florian Jaenicke, der seit über zwanzig Jahren mit seiner Frau – gegen alle Widrigkeiten – an der Seite von Friedrich steht und sich wie viele Eltern manchmal fragt, „wie lange wir wohl noch durchhalten können und ob die Kraft, die wir aus Friedrichs wundervoller, vor Liebe strotzender Existenz schöpfen können, ausreichen wird, um nicht zu resignieren“.
Khawla Mohamed Aljodar aus den Vereinigten Emiraten berichtet selbst über ihren Alltag.
Oinatz aus Spanien schildert das Leben mit seinen Eltern.
Eindrucksvoll sind auch die Texte von professionell Tätigen, die sich empathisch in die Welt dieser Personengruppe hineinversetzen: etwa Ena Bolognese aus Norwegen, die die Geschichte von Fräulein „Ichbins“, einem sehr jungen Mädchen, erzählt. „Ich brauche einen guten Menschen mit guter Zeit an meiner Seite, der die Sprache hinter sich lässt.“ Jan Pauwels spricht im Namen von Mark, dessen Welt eine Welt der Klänge ist. „Ich kann es nicht ausdrücken, ich habe nie Worte dafür gefunden, aber ich bemerke einen Unterschied.“ Ghada Kmeid schildert einen außergewöhnlichen Tag im Leben von Julia im Libanon: „Ihre Augen funkeln vor Liebe, und ihr neugieriger Blick scheint jedes Detail ihrer Umgebung einzufangen.“
„Er kann nicht gehen, er kann sich nicht bewusst bewegen, kann nicht schreiben, nicht sprechen – dennoch hat er uns viel zu erzählen“, schreibt Lucia Diaz Carcelén aus Spanien über Christian, einen „Bewohner der Stille“. Winfried Mall schildert eine verhängnisvolle Situation von Anna, die ihr späteres Leben prägt. Wie Eltern in Griechenland mit schwer behinderten Kindern leben, veranschaulicht Lucia Kessler-Kakoulidis am Beispiel von Artemis.
Es sind Berichte aus einer Welt, von der kaum etwas zu hören ist. Eine Welt, mit der kaum jemand in Berührung kommen will und die am liebsten weggeschoben, vergessen wird. Doch es ist auch eine Welt, in der die Angehörigen bis zuletzt an der Seite ihrer Söhne und Töchter stehen – und in der die Schwächsten Höchstleistungen erbringen, die für uns kaum vorstellbar sind.
Mit diesem Heft wollen wir einen Spalt zu dieser Welt öffnen – und zeigen, dass diese Personen ein unverrückbares Recht auf Würde und soziale Zugehörigkeit haben. Der Anspruch der Inklusion entscheidet sich im Umgang mit ihnen – jeden Tag, in jeder Begegnung.
Josef Fragner, Chefredakteur
Inhalt:
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"Kaum bis gar nicht beschult"
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Ein Tanz zwischen Angst und Hoffnung: die Mutter, die sich weigerte, aufzugeben
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Aus dem Leben von Charlie Bottura
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Ich schöpfe meine Kraft aus der Liebe, die ich für meine Kinder empfinde
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Friedrich - Ein Leben lang an seiner Seite
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Wer mit dem Willi spricht
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Ein halbes Herz - ein ganzes Leben
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Ein Tag in meinem Leben, wie ich ihn sehe und erlebe
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Ein Tag im Leben von Oinatz
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Passport to My Country - Wie kann man die Grenze überqueren?
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Mark - Meine Welt ist eine Welt der Klänge
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Julia - Der Reichtum liegt in jeder Begegnung
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Wer kennt Cristian?
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Ein Tag im Leben von Anna
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"Es kommt der Tag, an dem ihr wieder glücklich sein werdet."
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Good Morning, Midnight Color: Eindrücke aus Westafrika
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Wie war das mit diesen Kindern?
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Kamil Goungor - Der "Trawheeler", der Europas Behindertenpolitik in Bewegung bringt
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Mit Mikrofon vor vielen Leuten sprechen
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"Ferien für alle - Schule für alle"
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Ein Tag im Leben von Maja im Kinderpflegedomizil Fridolina
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Gemeinsam geteiltes Ereignis
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Keine Käfer in Schachteln
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Vom ungewöhnlichen Reiz auf Postkarten und Sammelbildern
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Die Frau mit den Sommersprossen
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Flugzeuge mit Sonnenkraft
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"Aufblühen" - Kunst für hörende und nicht hörende Menschen
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"Inklusion gehört gelebt" Wanted: Superassistenz
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Bücher
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