Beschreibung

Rollstuhlbasketball; win2day Meisterschaft 3x3 in Graz im Zuge der Sport Austria Finals (Symbolbild)

Foto: © Markus Fruehmann/OBSV
Federica Hofer, Sophie Constanza Bleuel, Vanessa Rust, Ingeborg Hedderich

Freizeit inklusiv gestalten - aber wie? (Langversion)

Das Projekt Inklusive Freizeit geht davon aus, dass eine inklusive Freizeitgestaltung zur Verbesserung der Lebensqualität führen kann. Das Anliegen des Projekts lag deswegen darin, die Möglichkeiten dafür zu erheben, aber vor allem zu untersuchen, wie deren konkrete Ausgestaltung die persönliche Wahrnehmung der eigenen Möglichkeiten verbessern kann. Aus diesem Grund wurden neben Interviews mit Freizeitanbietenden auch welche mit Nutzenden geführt und daraus praxisnahe Implikationen abgeleitet.

Ausgangslage Worum geht es?

Die gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft wird im Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) – in Art.30 explizit für den Lebensbereich Freizeit – festgehalten. Die Vertragsstaaten verpflichten sich „das Recht von Menschen mit Behinderungen, gleichberechtigt mit anderen am kulturellen Leben teilzunehmen“ (UN-BRK 2006, Art.30) anzuerkennen. Dennoch sind inklusive Freizeitangebote in der Deutschschweiz keine Selbstverständlichkeit, auch wenn eine prinzipielle Offenheit besteht (vgl. Bleuel, Hofer, Rust & Hedderich 2022[1]). Trescher (2015, 234) hingegen hat das Potenzial inklusiver Freizeitgestaltung erforscht, mit dem Ergebnis, dass sie zur Sichtbarmachung von Behinderungen dient, die Selbstbestimmungsfähigkeit erweitert und das Spannungsverhältnis zwischen „Normalgesellschaft“ und „Betreuungsinstitution“ auflösen kann. Es fehlen jedoch systematische Untersuchungen, welche die Angebotsausgestaltung und die persönliche Wahrnehmung fokussieren. Dieser Lücke näherte sich das Forschungsprojekt Inklusive Freizeit am Lehrstuhl für Sonderpädagogik: Gesellschaft, Partizipation und Behinderung von Prof. Dr. Ingeborg Hedderich der Universität Zürich an, indem Freizeitangebote in den drei größten Deutschschweizer Städten (Basel, Bern und Zürich) untersucht wurden. Dabei interessierte, inwiefern Angebote für Menschen ohne Behinderungen auch für Menschen mit Behinderungen – und umgekehrt – zugänglich sind.

Mithilfe eines online Fragebogens wurde eine quantitative Erhebung der bestehenden Angebote durchgeführt. Anhand der Interviews mit Anbietenden sowie Nutzenden von inklusiven Freizeitangeboten wurde die Ausgestaltung dieser qualitativ erforscht. Daraus folgten konkrete Handlungsempfehlungen für die Gestaltung inklusiver Freizeitangebote, die das Hauptanliegen dieses Artikels sind.

Freizeit – Worin liegt ihre Bedeutung?

Der Bereich der Freizeit ist wenig beforscht, auch weil er durch seine Vielfältigkeit schwer zu greifen ist. Eine Möglichkeit bietet die Definition von Opaschowski (1990), welcher die gesamte Lebenszeit in „Zeitabschnitte“ teilt. Diese unterscheiden sich „nach vorhandenem Grad an freier Verfügbarkeit über Zeit und entsprechender Wahl-, Entscheidungs- und Handlungsfreiheit“ (Opaschowski 1990, 86). Im Gegensatz zur Determinations- und Obligationszeit, ist die Dispositionszeit in Gänze selbstbestimmt, sodass autonom über Zeit, Ort und Art der Tätigkeit entschieden werden kann (vgl. ebd.). Die Bedeutung der Freizeit wird vor allem durch die Bedürfnisse deutlich, die dadurch befriedigt werden: „Rekreation“ (Erholung), „Kompensation“ (Ausgleich), „Edukation“ (Weiterbilden), „Kontemplation“ (Selbstbestimmung), „Kommunikation“ (zwischenmenschliche Kontakte), „Integration“ (Gruppenbildung), „Partizipation“ (Beteiligung) und „Enkulturation“ (Kreative Entfaltung) (vgl. Opaschowski 1990, 93f). Ihre Rolle ist zentral für das Erreichen von Inklusion, denn im Sinne der „Edukation“ und „Kontemplation“, setzt sich das Individuum mit der eigenen Person auseinander, wodurch Prozesse des Empowerments ausgelöst werden können, die zentral für gelingende Inklusion sind. In der Befriedigung der Bedürfnisse nach „Kommunikation“ und „Integration“ werden neue Kontakte geknüpft, sodass Sensibilisierungsprozesse angeregt werden und die Verbundenheit zu anderen gestärkt wird. Die Bedürfnisse der „Partizipation“ und „Enkulturation“ schlussendlich können die Teilhabe und Teilnahme fördern. Im Zusammenwirken dieser Bedürfnisse kann die individuelle Lebensqualität gesteigert werden.

Lebensqualität – Wie verändert sich der Blickwinkel?

Der Aspekt der Lebensqualität ist nicht nur durch seinen intrinsischen Wert bedeutend für Inklusion, sondern ebenfalls durch den dadurch sichtbaren Paradigmenwechsel. Die Lebensqualität kann annährungsweise operationalisieren, wie die Lebenslage von den Menschen selbst erfahren wird (vgl. Schäfers 2016, 136). Dadurch können gesellschaftliche Inklusionsbestimmungen mit subjektiven Inklusionserfahrungen verbunden und somit als „Massstab für die Wirkungsbeurteilung sozialer Dienstleistungen“ genutzt werden (Schäfers 2012, 6). Schalock (2004, 206) hält für die Operationalisierung von Lebensqualität die Kerndimensionen „emotional, physical and material well-being“, „interpersonal relations“, „personal development“, „selfdetermination“ „social inclusion“ und „rights“ fest. Es zeigt sich, dass dies alles Aspekte sind, die durch die Befriedigung der Freizeitbedürfnisse gestärkt und verbessert werden. Eine inklusive Freizeitgestaltung kann daher die eigene Lebensqualität verbessern und somit zur Erreichung von Inklusion beitragen.

Inklusion – Was ist das Ziel und welcher Weg führt dahin?

Entscheidend für Inklusion ist Empowerment, weil dieses die Möglichkeit bietet, Selbstbefähigungen von außen zu unterstützen. Diese Befähigung ist bedeutsam, damit die Selbstbestimmung sowie die Partizipation verbessert werden kann. Zentral ist zudem die Unterscheidung zwischen Teilhabe- und Teilnahmeermöglichung. Röh (2009, 85, Anp. durch Autorinnen) schreibt, „[w]enn Teilhabegewährung [ ] als Top-down-Strategie auf Teilnahmeinteresse als Bottom-up-Prozess stößt, [ ] [könnte] eine Inklusion gelingen“. Man unterscheidet dabei ein passives Einbezogen-werden (Teilhabe) und ein aktives Sich-Einbringen (Teilnahme). Im Sinne der Lebensqualität zeigt sich daher, dass die oben genannten Kerndimensionen und die „individuelle Betrachtung immer ergänzt werden muss um die Betrachtung äußerer, materieller und sozialer Faktoren“ (Beck & Franz 2007, 10). Daher haben wir in unserem Projekt sowohl die Freizeitangebote über die Anbietenden als auch die Erfahrungen der Nutzenden erhoben. Im Sinne der Lebensqualität beschäftigen wir uns in diesem Artikel nur mit den Aussagen der Nutzenden von Freizeitangeboten.

Vorgehen – Was sagen die Nutzenden?

Auf Basis der quantitativen Erhebung wurden in einem zweiten Schritt problemzentrierte Interviews durchgeführt. Neben 13 Anbietenden wurden drei Nutzende von inklusiven Freizeitangeboten bezüglich ihrer Erfahrungen interviewt. Das problemzentrierte Interview nach Witzel (2000) bietet Anschlussmöglichkeit an die in der quantitativen Erhebung gebildeten Hypothesen und Theorien. Es orientiert sich an „gesellschaftlich relevanten Problemstellungen“ (Witzel 2000, Abs. 4), was im Falle dieses Projektes den aus dem Fragebogen resultierenden Problemstellungen entspricht.

Es wurden insbesondere die Barrieren beleuchtet, welche bei der inklusiven Freizeitgestaltung erlebt werden. Weiter wurde thematisiert, inwiefern Menschen mit Behinderungen in die Gestaltung des Angebots miteinbezogen werden und welche konkreten Anpassungen und Möglichkeiten das entsprechende Angebot für sie beinhaltet. Von Interesse waren zudem das wahrgenommene Inklusionsverständnis des Angebots, sowie die positiven oder negativen Reaktionen auf die inklusive Gestaltung. Als Letztes wurden die Rahmenbedingungen erfragt, welche die Nutzung des Freizeitangebotes aus der Perspektive der Nutzenden erleichtern.

Die Interviews wurden anschließend transkribiert und mit der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2022) ausgewertet. Die Methode eignet sich für die Erfassung von latenten, wie auch expliziten Sinngehalten und lässt aufgrund der hohen Standardisierung eine intersubjektive Überprüfbarkeit zu (vgl. Mayring & Fenzl 2019, 633). Die Kategorien wurden deduktiv und zusätzlich, anhand der thematisierten Aspekte seitens der Nutzenden, induktiv gebildet.

Erkenntnisse und Implikationen – Was bedeutet dies nun?

Aus den Interviews mit den Nutzenden konnten wichtige Erkenntnisse gewonnen und zentrale Empfehlungen abgeleitet werden, wie (1) die Grundsätze der UN-BRK (2006) zielführend umgesetzt, (2) die Partizipation im Lebensbereich der Freizeit gefördert und dadurch (3) eine Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden kann. Die Empfehlungen sollen Anbietende darin unterstützen, ihre Freizeitangebote inklusiv zu gestalten. Die Ergebnisse aus den Interviews mit den Nutzenden stellen dabei die Grundlage dar, sodass sie neben der theoretischen Reflexion auch eine praktische Fundierung haben.

Die nachfolgenden Empfehlungen lassen sich in drei Teile gliedern. Zuerst werden (a) allgemeine Aspekte zur inklusiven Gestaltung beschrieben, die erläutern, weshalb es sich für Freizeitanbietende lohnen kann, ihr Angebot inklusiv zu gestalten und wie dieses prinzipiell stattfinden kann. Nachfolgend werden Empfehlungen zur (b) konkreten Gestaltung eines inklusiven Freizeitangebots aufgeführt. Zum Schluss folgen Empfehlungen zum (c) Umgang mit Barrieren sowie deren Auflösung.

(a) Allgemeine Aspekte zur inklusiven Gestaltung – Was ist zu beachten?

Die nachfolgenden Empfehlungen sind von den Nutzenden angeregt, teilweise aber auch von den Anbietenden diskutiert worden. Ihnen allen innewohnend ist, dass sie die Umsetzung einer inklusiven Gestaltung unterstützen und dadurch Partizipationsmöglichkeiten für alle interessierten Teilnehmenden vergrößern können.

Anbietende sollen reflektieren, welche inhärenten Aspekte eines Angebots Partizipationsmöglichkeiten unterstützen, sodass diese weniger als invasive Veränderung, sondern als logische Anpassung verstanden werden. Ein zentraler Aspekt, der Reflexion durch die Anbietenden verlangt, ist die Bereitstellung notwendiger Materialen für die Partizipation der Teilnehmenden. Eine Person mit einer Hör- und Sehbeeinträchtigung, die in einem Chor singt, berichtet von diesbezüglichen Herausforderungen, da die Übersetzung der Notenblätter in Punktschrift eigenständig organisiert und bezahlt werden musste. Die Anpassungen wurden hier nicht durch das Angebot gewährleistet, sondern durch freiwilliges Engagement anderer Teilnehmenden getragen. Die interviewte Person betrachtet dies jedoch als der Freizeit innewohnend:

Weil Freizeit ist mal Freizeit und wenn es Freizeit ist, dann ist man immer abhängig vom Engagement, das die anderen einem entgegenbringen, meiner Ansicht nach. (Interview14A, Z. 181-183)

Die betroffene Person muss hier als Bittsteller oder Bittstellerin agieren, damit Partizipation möglich wird. Im Gegensatz dazu berichtet eine andere Person, dass bei ihr notwendige Gerätschaften bereitstanden, wodurch gleiche Voraussetzungen für alle Teilnehmenden geschaffen wurden:

Es haben wie auch alle einen Sportrollstuhl dafür, also nicht den privaten oder den eigenen. Und dadurch ist es dann/ man ist dann auf gleicher Höhe, was ich das Gefühl habe ist noch relativ/ also noch so relevant. (Interview 16A, Z. 79-81)

Inklusive Rahmenbedingungen können die Zielgruppe vergrößern und gleichzeitig eine Qualitätssteigerung bewirken. In diesem Zusammenhang erzählt eine Person, dass durch eine erhöhte Qualität des Scans der Notenblätter im Chor einerseits der Scan generell besser lesbar ist und andererseits die Übertragung in Brailleschrift deutlich weniger Zeit beansprucht. Ein Standard inklusiver Freizeitangebote sollte folglich die grundsätzliche Zugänglichkeit der Materialien sein:

Es geht nicht darum, ob ich komme oder nicht, sondern der Punkt ist, wenn man ein bisschen, eine Minute mehr Aufwand hat, dann würde mir dies drei, vier Arbeitsstunden Arbeitszeit ersparen. Ob das jetzt für mich ist oder für jemand anderes. (Interview 14A, Z. 529-534)

In diesem Zusammenhang wurde insbesondere von Freizeitanbietenden im Kulturbereich diskutiert, dass ein Label die Zugänglichkeit planbarer und überprüfbarer macht. Die Umgestaltung wird strukturiert und mit Zielen überprüft. Dadurch wird sie als bewältigbar für das jeweilige Angebot eingestuft.

Als weiterer Aspekt wird das Potenzial inklusiver Ansätze betont, die durch ihre Innovationskraft als Vorbilder agieren und die gesellschaftliche Sensibilisierung vorantreiben. Ein inklusives Freizeitangebot hat die Möglichkeit, eine inklusive Grundlegung in einem begrenzten sowie kontrollierten Rahmen zu explorieren und flexibel auf Anforderungen zu reagieren. Die interviewten Personen berichten, dass durch die Teilnahme am Angebot neue Kontakte und Begegnungsmöglichkeiten zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen geschaffen wurden, die auch über das Angebot hinaus Bestand hatten:

Ich habe mich sehr willkommen gefühlt. Und bin zum Beispiel dann auch/ Man hat sich dann auch gegrüßt ausserhalb von der Turnhalle, wenn man sich gesehen hat. (Interview16A, Z.154-156.).

Zudem kann durch die direkte Begegnung das Wissen im Umgang mit Personen mit Behinderungen intensiviert und Vorurteile und Berührungsängste abgebaut werden. Dieses Wissen wiederum kann den Zugang zu einem Regelangebot auch zukünftigen Teilnehmenden erleichtern.

(b) Die inklusive Gestaltung konkret – Wie wird es gemacht?

Die barrierefreien Informationen sowie die Zugänglichkeit zum Freizeitangebot sind unverzichtbar, damit eine inklusive Gestaltung gelingt und das Freizeitangebot tatsächlich von allen genutzt werden kann. Beispiele dafür sind die barrierefreie Kommunikationsstrategie des Angebots sowie Anpassungen entlang der Bedürfnisse der Teilnehmenden. Eine Person berichtet, dass die Ausschreibung des Angebots zugänglich war, da der Newsletter in barrierefreier Form vorlag und damit die Teilnahme am „Regelangebot“ ermöglicht wurde. Eine andere Person, die ein „Regelangebot“ besuchte, erzählt, dass sie ein individuelles Vorbereitungstreffen mit Besuch des Angebots sehr begrüßte, um einen Einblick in dieses zu erhalten und Erwartungen zu klären, was die Teilnahme erleichterte:

Und da hat er [die Leitungsperson] gesagt, ja ich kann ja mal anschauen kommen. Und da bin ich an dem Tag schauen gekommen und da hat mir das gut gefallen. Dann bin ich/ meine Kollegen [umgangsspr. Freunde] sind natürlich auch alle dabei und das hat mir gefallen. Und nachher bin ich/ hätte ich auch ja oder nein sagen können. Und da hab ich gesagt „also gut, ich komme“. Jetzt bin ich/ macht es mir auch Spaß. (Interview15A, Z.379-382)

Folglich ist die Gestaltung des jeweiligen Angebots an den individuellen Bedürfnissen der Teilnehmenden auszurichten, und nicht von einzelnen Beeinträchtigungsarten auszugehen, die der vorliegenden Vielfalt nicht gerecht werden. Daran anschließend berichtet eine der interviewten Personen, dass für sie persönlich die Teilnahme nur möglich war, weil sie ihre Bedürfnisse mitteilen konnte:

Es ist natürlich einfach wichtig, dass man als Blinder weiß/ also natürlich auch sonst als Behinderter, oder, was braucht man, was braucht man nicht und wenn jemand dies nicht kann, dann wüsste ich nicht, wie ein Angebot so ausgelegt werden kann, dass es dann funktioniert. Wenn jemand sich nicht richtig artikulieren kann, zum Beispiel, dann wirds schwierig. Ich konnte sagen, ich brauche das und dies. Und dann hab ichs auch bekommen. Aber wenn jemand das nicht kann, dann gibt es diesbezüglich, also meiner Information nach, keine Standards. (Interview14A, Z.158-166)

In diesem Zusammenhang erhält der Miteinbezug von Menschen mit Behinderungen in die inklusive Gestaltung offensichtlich Bedeutung. Ihre Mitwirkung führt automatisch zur Sensibilisierung des Angebots und kann beispielsweise in Form von Informationsvermittlung über Beeinträchtigung und Behinderungen, Prüfung des Angebotes oder Durchführen einzelner Events stattfinden. Eine interviewte Person erläutert, dass die inklusive Gestaltung nur über den persönlichen Miteinbezug gelingen konnte:

Die vom Chor haben von diesen Sachen keine Ahnung, wenn ich denen nicht gesagt hätte, dass man dies so und so machen könnte. Woher sollten sie das auch wissen, oder, wenn sie noch nie einen Behinderten hatten. (Interview14A, Z.599-602)

Weiterführend ist die persönliche Verpflichtung zur inklusiven Gestaltung zentral. Es handelt sich in der inklusiven Freizeitgestaltung um langwierige Prozesse, die nicht gelingen können, wenn diese nicht durch eine persönliche Überzeugung getragen werden. Diese muss durch institutionalisierte Zuständigkeiten auf den gesamten Verein o.ä. übertragen werden. Die Befragten berichten in diesem Zusammenhang von der bedeutsamen Rolle der Leitungsperson des jeweiligen Angebots. Bei einer Person nahm die leitende Person für die Teilnahme im Chor keine Anpassungen vor, auch wenn diese die Partizipationsmöglichkeiten verbessert hätten:

Oder, er [die Leitungsperson] wollte einfach nicht die Dinge digital machen und es/ Ich hab gesagt, er müsse einfach bestimmte Standards einhalten. Wenn er dies machen würde, dann hätte ichs schnell übertragen können [in Brailleschrift] und dies hat dann dazu geführt, dass jemand die Noten für mich abschreiben musste, weil er/ Weil er dies nicht umsetzen wollte. Wie gesagt, für mich/ für mich ist jedes neue Semester neues Glück (lacht). (Interview14A, Z. 484-493)

Hier zeigt sich, dass keine persönliche Verpflichtung zur inklusiven Gestaltung vorhanden war. Die betroffene Person musste sich schließlich selbst darum kümmern. Gleichzeitig berichteten die anderen beiden Interviewten, dass ihre jeweilige Leitungsperson die persönliche Verpflichtung zur inklusiven Gestaltung wahrnahm. Eine der beiden berichtete von Schwierigkeiten mit anderen Teilnehmenden. Die Leitungsperson bot hier Unterstützung, vermittelte in einem Schlichtungsgespräch und signalisierte, dass sie als Ansprechperson verfügbar sei, was die interviewte Person wie folgt zum Ausdruck brachte: „Ich kann ihm alles sagen, hat er gesagt“ (Interview15A, Z. 997).

Damit verbunden wird auch eine prinzipielle Offenheit und Sensibilität für verschiedene Bedürfnisse der Teilnehmenden und ihre Voraussetzungen durch die Leitungsperson und die anderen Teilnehmenden benötigt. Gleichzeitig betont eine der befragten Personen, dass sie selbst auch eine gewisse Offenheit mitbringen müsse, um sich auf ein inklusives Angebot einzulassen:

Als Blinder muss man ja schließlich auch bereit sein, Neues zu lernen, also dies ist natürlich auch wichtig. Das ist dann, von meiner Seite aus, oder, man muss bereit sein, Neues zu lernen und offen zu sein. (Interview14A, Z. 1042-1044)

(c) Barrieren – Wie können diese aufgelöst werden?

Für die inklusive Gestaltung können Ressourcen jeglicher Art eine Herausforderung darstellen. Es gilt jedoch zu reflektieren, wie fehlende Ressourcen kompensiert werden können. So kann ein effizienter Umgang mit zeitlichen Ressourcen dadurch gelingen, dass Zuständigkeiten klar definiert werden, sodass die Arbeit schneller und zielführender vonstattengehen kann.

Treten Leitungspersonen eines inklusiven Freizeitangebots als Ansprechpersonen für die Teilnehmenden auf, so ermöglicht dies, insbesondere auch den Teilnehmenden mit Behinderungen, einen schonenden Umgang mit den eigenen Ressourcen.

Oftmals fehlt bei den Anbietenden das Wissen über die inklusive Gestaltung von Freizeitangeboten, was zu unnötigen Ausgaben von Ressourcen oder auch Fehlanpassungen führen kann. Um dies zu vermeiden, muss bei einer inklusiven Gestaltung genügend Information über Beeinträchtigungen, Behinderungen und verschiedene Bedürfnislagen eingeholt werden. Menschen mit Behinderungen sind hierbei als Expertinnen und Experten in eigener Sache[2] zu berücksichtigen, die Wissen und Erfahrung bezüglich ihrer Bedürfnislage und den Voraussetzungen für die Partizipation mitbringen. Ihr Einbezug in die Planung und Gestaltung eines inklusiven Angebots ist unverzichtbar. Ergänzend dazu sind auch Fachpersonen aus dem Bereich als Ansprechpersonen einzubeziehen, die durch ihr Engagement und Interesse zum Gelingen der inklusiven Gestaltung beitragen können.

Da unterschiedliche Organisationen und Freizeitanbietende oftmals mit ähnlichen Barrieren konfrontiert werden, gilt es, wenn immer möglich, zusammenzuarbeiten, sodass die Kompetenzen und Lösungen geteilt werden können. Erfahrungsberichte zur Umsetzung inklusiver Freizeitangebote können wichtige Hinweise für zukünftige Projekte bereithalten und den Organisierenden Sicherheit als auch Möglichkeit zum Austausch und zur Vernetzung bieten.

Schließlich ist festzuhalten, dass Veränderungen und Anpassungen als interaktiver Prozess zu verstehen sind. Ein inklusives Angebot gelingt demzufolge nur unter der Bedingung, dass es sich flexibel auf die Bedürfnislage der jeweiligen Teilnehmenden einstellt und entsprechende Anpassungen vorgenommen werden. Es gilt daher in enger Zusammenarbeit mit den Teilnehmenden zu erarbeiten, welche Wünsche und Bedürfnisse es auf welche Art und Weise umzusetzen gilt.

Fazit

Freizeit trägt zur Erfüllung grundlegender Bedürfnisse bei (vgl. Opaschowski 1990, 93f.), welche grosse Nähe zur Auffassung von Lebensqualität (vgl. Schalock 2004, 206) aufweisen. Daher kann eine inklusive Freizeitgestaltung einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen leisten. Im Bereich der Freizeit treffen gesellschaftliche Forderungen nach Inklusion und Partizipation mit der Gewährung von Teilhabe auf die individuelle, aktive Teilnahme der Nutzenden von Freizeitangeboten aufeinander (vgl. Röh 2009). Anhand der subjektiven Inklusionserfahrungen der befragten Nutzenden konnten zentrale Implikationen abgeleitet werden, damit die inklusive Freizeitgestaltung gelingt. Diese betreffen neben allgemeinen Aspekten zur inklusiven Gestaltung, wie bspw. die Reflexion inhärenter Aspekte des Angebots, die Partizipation ermöglichen können, oder auch die Vorbildfunktion und das damit verbundene gesellschaftliche Sensibilisierungspotenzial insbesondere auch das Auflösen von Barrieren sowie die konkrete inklusive Gestaltung. Dabei ist der Einbezug von Menschen mit Behinderungen in die Planung und Umsetzung inklusiver Angebote besonders hervorzuheben. Diese sind Expertinnen und Experten in eigener Sache, verfügen über Wissen zu vielfältigen Bedürfnislagen sowie entsprechenden Unterstützungsmassnahmen, welches für die Gestaltung inklusiver Freizeitangebote unverzichtbar ist. Im interaktiven Prozess zwischen Anbietenden und Nutzenden sollen Anpassungen diskutiert, geprüft und festgehalten werden, um zu Standards inklusiver Freizeitgestaltung beizutragen, die Anbietende bei der Umsetzung der UN-BRK (2006) und damit Menschen mit Behinderungen bei der Verbesserung ihrer Lebensqualität unterstützen.

Literatur

Beck, I. & Franz, D. (2007): Umfeld- und Sozialraumorientierung in der Behindertenhilfe. Hamburg: Jülich.

Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK): Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die amtliche, gemeinsame Übersetzung von Deutschland, Österreich, Schweiz und Lichtenstein. International Convention of the Rights of Persons with Disabilities and its Optional Protocol, U.N. GAOR, 61st Sess., Item 67(b), U.N. Doc. A/61/611 (Dec. 6, 2006) [hereinafter DisabilitiesConvention].

Inklusionsbüro Schleswig Holstein (o.J.): Experten in eigener Sache. Abgerufen am 15.08.2022 von https://www.alle-inklusive.de/experten-in-eigener-sache/

Mayring, P. (2022): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken (13. Aufl.). Weinheim: Beltz.

Mayring, P. & Fenzl, T. (2019): Qualitative Inhaltsanalyse. In: Bauer, N. & Blasius, J. (Hrsg.): Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung. Wiesbaden: Springer Fachmedien, 633-648.

Opaschowski, H. (1990): Pädagogik und Didaktik der Freizeit. Opladen: Leske + Budrich.

Trescher, H. (2015): Inklusion. Zur Dekonstruktion von Diskursteilhabebarrieren im Kontext von Freizeit und Behinderung. Wiesbaden: Springer VS.

Röh, D. (2009): Soziale Arbeit in der Behindertenhilfe. Stuttgart: UTB.

Schalock, R.L. (2004): The concept of quality of life: what we know and do not know. Journal of Intellectual Disability Research, 48(3), 203-216.

Schäfers, M. (2012): Lebensqualität – ein Überblick über sozialwissenschaftliche Forschungsansätze. Schweizer Zeitschrift für Heilpädagogik, 3, 5-12.

Schäfers, M. (2016): Lebensqualität. In: Hedderich, I., Biewer, G., Hollenweger, J. & Markowetz, R. (Hrsg.): Handbuch Inklusion und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: UTB Julius Klinkhardt, 132-137.

Witzel, A. (2000): Das problemzentrierte Interview. Forum Qualitative Sozialforschung/ Social Qualitative Research, 1(1), Art. 22. Abgerufen am 12.05.2022 von https://www.qualitative-research.net/fqs/article/view/1132/2520

 

[1] Die Analyse des bestehenden Angebots wird im Artikel «Inklusive Freizeit – Eine Untersuchung über vorhandene Angebote und die Bereitschaft zur inklusiven Gestaltung» in der Schweizerischen Zeitschrift für Heilpädagogik besprochen.

[2] Expertinnen und Experten in eigener Sache „sind Menschen – insbesondere jene mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen – die ihr Wissen über sich und ihre Lebenswelt in Diskussionen und Prozesse einbringen“ (Inklusionsbüro Schleswig-Holstein, o.J.).