Ein gemaltes Bild, welches ein Altbaugebäude einer Nationalbank darstellt. Auf dem Dach ist ein Schild mit dem Namen "Nationalbank" gezeichnet. Das Gebäude ist in einem bräunlichen Gelb gehalten. Die Fenster im Erdgeschoß sind grau und werden in höheren Stockwerken immer heller. Das Dach selbst ist grau-braun. Auf dem Gebäude finden sich rote Punkte und ein rotes Symbol in Form einer gekrümmten Zuckerstange.

Foto: © Eric 2020
aus Heft 1/2021 – Aus Grolls Skizzenbuch
Erwin Riess

Nationalbank und Heereswesen

Eine Aufklärungsmission führte Herrn Groll und den Dozenten in die Alservorstadt im neunten Wiener Gemeindebezirk. Am nördlichen Ende eines Wiesenstreifens am Otto-Wagner-Platz erhob sich ein trutziges vielstöckiges Gebäude – der Sitz der Nationalbank. Der Bau habe eine seltsame militärische Ausstrahlung, sagte der Dozent. Immer, wenn er hier vorbeikomme, beschleunige er unbewusst seine Schritte. „Ihre Beine sind in diesem Fall klüger als Ihr Kopf“, erwiderte Herr Groll. „Da ich Sie als überzeugten Pazifisten und Kritiker des Militärwesens kenne, darf ich Ihnen sagen, dass dieser Platz und dieses Palais im Stile des gemäßigten österreichischen Klassizismus, von dem die Oberhoheit über das heimische Finanzwesen ausgeht, eine vielfältige militärische Vergangenheit aufweisen.“

„Sie haben sich ja bestens auf unseren Ausgang vorbereitet“, sagte der Dozent anerkennend.

„Wenn ein Bewohner Transdanubiens den Donaustrom überquert und das Zentrum der einstigen Haupt- und Residenzstadt besucht, will er sich der historischen Dimension dieses Vorstoßes würdig erweisen, sagte Groll geschmeichelt und hielt inne. „Das Nationalbankgebäude wurde 1925 eröffnet; vorher stand hier die Alser Kaserne, die aus dem späten 17. Jahrhundert datierte und bis zu 6000 Militärpersonen beherbergte. Etliche Wiener Kasernen wurden innerhalb des Gürtels errichtet, ihr Ziel war nicht die Kampfführung gegen einen äußeren Feind, sondern die rasche Verfügbarkeit bei Rebellionen des aufständischen Volks. Die Habsburger haben ihren eigenen Leuten immer misstraut, und diese Einschätzung hat sich durchaus bewährt. Mit der Liebe zum Kaiserhaus war es nämlich bei den meisten einfachen Leuten, Studenten und Arbeitern nicht weit her. Auch nach der Vertreibung der Habsburger setzte sich in der jungen Ersten Republik die Skepsis gegen die Regierenden fort. So kam es keine hundert Schritte von hier entfernt, in der Hörlgasse, am 15. Juni 1919 zu einer Demonstration von ehemaligen Frontsoldaten, Obdachlosen, Bettlern und Arbeitslosen. Der Anteil Kriegsversehrter war sehr hoch. Auf Krücken gestützt und in improvisierten Rollwagen forderten die Demonstranten eine unmittelbare Verbesserung der katastrophalen Ernährungs-, Wohn- und Arbeitssituation und die Einführung einer strengen Reichen- und Luxussteuer. Polizei und Soldateska schossen in die Menge, mindestens 20 Demonstranten blieben tot zurück. Das ,Massaker in der Hörlgasse‘ war ein Vorläufer des 17. Juli 1927, als über hundert Demonstranten von Uniformierten beim nahen Justizpalast hingemetzelt wurden. Dass keine sieben Jahre später die Kanonen des Bundesheers in die Gemeindebauten des Roten Wien feuerten, kommt also nicht von ungefähr. Noch heute wechsle ich die Straßenseite, wenn mir ein Polizist entgegenkommt. Wussten Sie, dass die FPÖ bei den jüngsten Gemeinderatswahlen, die bekanntlich für die Partei mit einer vernichtenden Niederlage endeten, in einer großen Wohnanlage im 16. Bezirk glänzend abschnitt? Die Erklärung liegt auf der Hand: In dem Bau wohnen überwiegend Polizisten und deren Angehörige.“

„Kommen Sie, geschätzter Groll! Meine Füße verlangen ihr Recht. Im Hof des Alten AKH befindet sich die ,Stiegl-Ambulanz‘. Dort können auch historische Wunden mittels ausgiebiger Spülungen mit gebrautem Gerstensaft behandelt werden.“

„Ich bin mein Lebtag gut damit gefahren, medizinische Ratschläge nur im Notfall anzunehmen. Ich erkläre hiermit meinen historischen Umweg zu einem solchen!“, sagte Groll und setzte seinen Joseph in Bewegung.

Der Dozent folgte seinem Freund mit langen Schritten.