Beschreibung

Foto: Eva Gugg
aus Heft 3/4/2021 – Arbeit und Behinderung
Gerhard Einsiedler

Impulse für den inklusiven Arbeitsmarkt

Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention beschreibt das Recht behinderter Menschen auf Arbeit auf der Grundlage der Gleichberechtigung mit anderen. Dieses Recht auf Arbeit schließt die Möglichkeit ein, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die frei gewählt angenommen wird. Zusätzlich wird darin die staatliche Pflicht festgeschrieben, durch geeignete Schritte die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit zu sichern und zu fördern – soweit die Theorie.

Die Praxis aber sieht so aus: Derzeit ist die Arbeitslosigkeit unter Menschen mit Behinderungen in Österreich so hoch wie noch nie. Nur 55,9 Prozent der Menschen mit Behinderungen im erwerbsfähigen Alter sind erwerbstätig bzw. arbeitssuchend (bei Menschen ohne Behinderungen 77,1 Prozent). Besonders drastisch ist die Situation der 23.500 Menschen, denen Arbeitsunfähigkeit attestiert wurde und die damit de facto ihr ganzes Leben vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind.

Der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen am 5. Mai brachte wieder frischen Wind in dieses Dauer-Thema: Zum einen übergab der Österreichische Behindertenrat an Bundeskanzler Sebastian Kurz sieben Kernforderungen zur Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes, zum anderen präsentierte die Lebenshilfe Österreich ein „2-Säulen-Modell: Einkommen und Bedarfssicherung für Menschen mit Behinderungen“.

Sieben Schritte

1. Alle Menschen mit Behinderungen müssen das Recht haben, Unterstützungen des AMS und der NEBA (Netzwerk für berufliche Assistenz, Anm. der Red.)-Projekte in Anspruch zu nehmen – auch jene Menschen, die derzeit als arbeitsunfähig gelten.

2. Berufliche Unterstützungs- und Weiterbildungsleistungen müssen für alle Menschen mit Behinderungen bedarfsgerecht und barrierefrei angeboten werden.

3. Auch Menschen mit Behinderungen, die als „arbeitsunfähig“ gelten, muss durch ein Grundsatzgesetz des Bundes die Möglichkeit eingeräumt werden, zu arbeiten, sozialversichert zu sein und ein faires Gehalt zu bekommen.

4. Menschen mit Behinderungen müssen einen Anspruch auf einen Lohnkostenzuschuss haben, der sich an ihrem Unterstützungsbedarf bemisst.

5. Wenn behinderungsbedingt keine Arbeit in Vollzeit möglich ist, muss ein individualisiertes Arbeitszeitmodell bei vollem Lohnausgleich zur Anwendung kommen.

6. Menschen mit Behinderungen müssen flexibel zwischen Nichtbeschäftigung, Beschäftigung in Beschäftigungsstrukturen/Werkstätten und dem allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln können, ohne dass es für sie Nachteile gibt.

7. Der Unterstützungsbedarf von Menschen mit Behinderungen soll durch ein standardisiertes Assessment festgestellt werden und zu einem Rechtsanspruch auf die erforderlichen Unterstützungsleistungen (Assistenz, Hilfsmittel, etc.) führen. Das Assessment muss danach ausgerichtet sein, die Ressourcen und Fähigkeiten zu erkennen und zu bewerten.

Das 2-Säulen-Modell

Im Modell geht man davon aus, dass Menschen mit Behinderungen grundsätzlich arbeitsfähig sind. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit und die damit verbundene Ausschließung sollen wegfallen – es basiert auf Ermächtigung und Teilhabe.

Die erste Säule des Modells dient der Existenzsicherung, entweder durch ein Einkommen aus einer Erwerbsarbeit oder – wenn es für eine Person nicht möglich ist zu arbeiten – einer Grundsicherung. Die Finanzierung erfolgt über einen Lohnkostenzuschuss, der sich nach der prozentuellen Bewertung des Unterstützungsbedarfs bemisst. Finanziert werden soll das Ganze aus einem Inklusionsfonds. Dieser besteht aus Abgaben von Bund und Ländern und gegebenenfalls noch aus Solidarabgaben von Unternehmen. Die gegenwärtigen Sozialleistungen sollen nicht wegfallen, sondern gehen in den Einkommenskomponenten auf.

Mit der zweiten Säule sollen die Bedarfe abgedeckt werden. Jeder Mensch mit Behinderung soll Geld für die Unterstützung bekommen, die er oder sie braucht (Persönliche Assistenz, Pflegegeld oder sonstige Hilfsmittel).

„Endlich Lohn statt Taschengeld, das 2-Säulen-Modell ist eine wichtige Grundlage dafür“, so der Generalsekretär der Lebenshilfe, Albert Brandstätter. Zur Umsetzung empfiehlt er eine „Task-Force, die mit der Ministeriumsarbeit einhergeht, eine Umsetzungsgrundlage schafft und diese akkordiert mit den relevanten Stakeholdern umsetzt“.

Wie lange noch?

Seit Jahren tüfteln Behindertenverbände, Betroffene und deren Interessenvertreter an Lösungen – es wird viel Hirnschmalz investiert, gefordert und präsentiert. Und doch verbessert sich die Lage von behinderten Menschen am inklusiven Arbeitsmarkt nicht. Nein, im Gegenteil! Die ernüchternden Zahlen sprechen für sich. Noch immer ist es nur in Ansätzen gelungen, Partner mit ins Boot zu holen, ohne die es nicht geht: die Politik und die Wirtschaft.

Die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet die Staaten, das Recht der behinderten Menschen auf Arbeit zu sichern und zu fördern. Doch was passiert? Nationale Aktionspläne werden einfach verlängert, weil die darin festgeschriebenen Zielvorgaben zu einem großen Teil nicht umgesetzt worden sind. Forderungen werden zum x-ten Mal medienwirksam entgegengenommen – und in den politischen Gremien beraten. Studien werden in Auftrag gegeben, vollmundige Erklärungen werden verlautet und klein bei klein Einzelprojekte gestartet. Keine Spur von langfristigen und basisorientierten Lösungen – alles andere als wirkliche Gleichstellungspolitik!

Und die Wirtschaft: Ihr werden demütig Zuckerl in Aussicht gestellt, wenn sie Menschen mit Behinderung anstellen. Keine Rede von der Erhöhung der Ausgleichstaxe. Nach wie vor ist es gang und gäbe, sich der Beschäftigungsverpflichtung zu entledigen, indem man sich billig freikauft. Nur ja nicht anecken. In paternalistischen Systemen darf man es sich nicht verscherzen mit denen, die an der Macht sind und letztendlich entscheiden. Verständlich zwar, aber…

Autor

Gerhard Einsiedler