Thema der Ausgabe 5/2021:

Vertrauen

Vertrauen und Verletzungen gehören zusammen.(Josef Fragner, Chefredakteur)

 

Intro:

Josef Fragner, Chefredakteur

Vertrauen

Vertrauen ist für uns alle lebensnotwendig. Wir brauchen Vertrauen, um das komplexe Leben bewältigen zu können. Vertrauen in die Welt setzt aber voraus, dass wir in unseren Beziehungen und Begegnungen mit Menschen Vertrauen erlebt haben. Viele belastete Menschen haben aber negative Lebenserfahrungen, die fehlendes oder brüchiges Vertrauen hinterlassen.

Vertrauen zu können, bedeutet aber auch, verletzt werden zu können. Darauf weist Martin Endreß in seinem Essay hin. „Wenn einem ‚der Boden unter den Füßen weggezogen wird‘ verschränken sich Welt-, Sozial- und Selbstvertrauen zu einer Abwärtsspirale der Ausweglosigkeit“.

In pflegerischen Feldern müssen wir uns buchstäblich in die Hand anderer Personen begeben. Vertrauen lässt sich dabei als erlebte Sicherheit begreifen. Im Erleben von Vertrauen, Selbstvertrauen und Gottvertrauen sieht Martin K.W. Schweer zentrale Elemente einer gelingenden Lebensführung.

Thomas Müller hat dieses Heft kuratiert. Er beschäftigt sich schon lange und intensiv mit dem Phänomen Vertrauen. Entfaltet in der pädagogischen Arbeit Verlässlichkeit nicht eine größere Wirkung? Wird einem Vertrauen nicht eher geschenkt? Was ist der Unterschied zwischen Vertrauen, Vertrauenswürdigkeit und Vertrautheit? Braucht es Vertrauen, wenn sich Vertrautheit eingestellt hat. Ist Vertrauen nicht ein zu großer Anspruch?

Diesen Fragen geht Thomas Müller in seinem Beitrag „Epistemisches Vertrauen in seiner Bedeutung für die Pädagogik von Verhaltensstörungen“ nach. Negative Lebenserfahrungen blockieren Vertrauen zu anderen und zu sich selbst, sie schränken die Möglichkeiten ein, bestimmte Sachzusammenhänge, Inhalte und Themen kognitiv zu durchdringen. Gerade Heranwachsende, die schlechte Erfahrungen in Abhängigkeitsverhältnissen gemacht haben, tun bisweilen alles dafür, ihre Einschätzung bestätigt zu sehen.

Stephan Gingelmaier, Nicola-Hans Schwarzer, Tobias Nolte und Peter Fonagy sehen epistemisches Vertrauen als wichtige Ergänzung einer mentalisierungsbasierten (Sonder-)Pädagogik. „Durch die (Gegen)Erfahrung des Mentalisiert-Werdens – auf Verhaltensebene transportiert über ostensive Signale – kann nach und nach aber eine (Wieder-)Öffnung für soziale Lernprozesse gelingen“.

Katja Hünig und Thomas Müller stellen die Frage, ob Essstörungen ein Ausdruck verlorenen Grundvertrauens sein könnten. „Wie verhält es sich, wenn das, was von außen nach innen gelangt, nicht stärkt, sondern verletzt und bedroht?“ Viele essgestörte Jugendliche können und wollen sich nicht mehr auf das Wagnis des Vertrauens einlassen.

Gerolf Renner und Marion Wieczorek reflektieren, ob Kinder und Jugendliche mit schwerer Behinderung „Vertrauensvoll durch den (Schul-)Tag“ kommen. Sie sind darauf angewiesen, „Vertrauen auch körperlich zu erleben, durch sicheres Halten und Tragen, durch sichere und behutsame Berührungen in ihrem Rhythmus“. Sie sind auf belastbare Erwachsene angewiesen, die ihnen Halt geben.

„Die Strafe des Lügners ist nicht, dass ihm niemand mehr glaubt, sondern dass er selbst niemandem mehr glauben kann“. Dieses Zitat von George Bernard Shaw stellt Dieter Fischer an den Beginn seines Beitrags, in dem er seine pädagogische Arbeit in einer Justizvollzugsanstalt für psychisch angeschlagene Jugendliche schildert. Sensibel versucht er den Jugendlichen mit Vertrauen und Respekt zu begegnen. „Anfangs war ich mit einzelnen Vertrauensmomenten zufrieden, die sich bald wie kleine Perlen zu einer Kette aufreihen ließen. Im Laufe unserer Arbeit strebte ich allerdings schon belastbares Vertrauen an“.

Franziska Grillmeier schildert, was es heißt, behindert und in einem griechischen Flüchtlingslager zu sein. Bei der Ungewissheit, ob man abgeschoben wird oder nicht, „da schrumpfen Körper und Geist zu einer Faust zusammen“.

Udo Sierck macht die Behindertenbilder in der Kinder- und Jugendliteratur zwischen 1933 und 1945 anschaulich. Hier sind behinderte Menschen dankbar für ihre Aussonderung, sie sind anschauliche Beispiele für „unwertes Leben“ und im Jahre 1940 durfte sogar ein „erbgesunder Zwerg“ den Heldentod sterben.

 

Inhalt:

Artikel
Vertrauen im Jugendstrafvollzug
Epistemisches Vertrauen - Eine wichtige Ergänzung für die mentalisierungsbasierte (Sonder)Pädagogik
Epistemisches Vertrauen in seiner Bedeutung für die Pädagogik bei Verhaltensstörungen
Vertrauensvoll durch den (Schul-)Tag?
Essstörungen - Ausdruck verlorenen Grundvertrauens?
Vertrauen beginnt beim Kennenlernen
Vertrauen und Verletzlichkeit
Von Lager zu Lager - Als behinderter Flüchtling in Griechenland
Vertrauen als Basis
„Menschen mit Behinderung haben eben auch Fähigkeiten“
Mein kleiner Widerstandskämpfer
Vertrauen – Selbstvertrauen – Gottvertrauen
"sit’n’skate“
Föderalismus benachteiligt
Sport verbindet
„Sport ist für mich eine Lebensschule“
Inklusive Bildungsarbeit im Trilemma?
Schreckgestalt, Kostenfaktor und Heldentod
Künstlerinnen­ und Künstlerbücher
Womit alles beginnt und womit alles endet