Franz-Joseph Huainigg sitzt lächelnd in seinem Rollstuhl vor dem ORF-Gebäude, in dem er arbeitet. Sein Beatmungsschlauch ist unaufdringlich erkennbar.

Seit über einem Jahrzehnt muss Franz-Joseph Huainigg beatmet werden. Sein Lebenswille ist dadurch nicht gebrochen: „Ich bin geboren, um zu leben“. In einem fiktiven Zwiegespräch mit Gott sieht er seine Lebensaufgabe: „Ich nehme Dir die Lungenkraft und schenke Dir einen langen Atem. Um für die Würde des Lebens zu kämpfen“.

Foto: privat
aus Heft 2/2020 – Fachthema
Franz-Joseph Huainigg

Mitten im Leben mit langem Atem!

Ich möchte mit einem kleinen Liebesgedicht an meine Beatmungsmaschine beginnen:

Die Maschine
Leise schnurrt sie neben mir.
Ich atme, sie heult auf.
Ich atme aus, sie schnurrt friedlich.
Ich spreche, sie heult und zischt.
Ich rede schneller, ihr Heulen überschlägt sich.
Ich schreie, sie schreit schrill piepsend mit.
Ich halte den Atem an. Sie stößt Luft in mich hinein.
Ich beruhige mich.
Leise schnurrt sie vor sich hin.
Sie lebt durch mich und ich lebe durch sie.

Seit 2006 gehören wir zusammen. Anfangs war es für mich sehr beunruhigend, dass mein Leben von einer Maschine abhängt. Heute herrscht Vertrauen. Denn seit 13 Jahren funktioniert die Maschine tagein tagaus, ohne Pause. Sie funktioniert und mein Leben funktioniert. Ich bin geboren, um zu leben. Meine Maschine ist gemacht, um zu funktionieren. Und wenn sie einmal nicht funktioniert, dann wird meine persönliche Assistentin zum Ambubeutel greifen. Sie ist dann die Heldin und ich lebe weiter!

Wie es zur Beatmung kam

Ich gehe nicht freiwillig ins Krankenhaus, nur wenn es wirklich sein muss. Und im Herbst 2006 war es wirklich notwendig. Seit Kindheit an sind meine Beine gelähmt, schleichend stieg meine Lähmung nach oben. Ich atmete sehr oberflächlich, war ständig müde und energielos. Heute klingt es lustig, aber das kam so schleichend, dass ich die Ursache nicht bemerkt hatte. Täglich musste ich ein Mittagsschläfchen einlegen, um den ganzen Tag zu überstehen. Auch im Parlament stand eine Couch in meinem Büro, auf welcher ich mich zwischen den langen Sitzungen kurz ausruhte. Ich hatte ständig eine Bronchitis mit Fieberschüben, musste Antibiotika nehmen und wenn ich auf der Couch lag, musste mich die Assistentin auf den Bauch über ihre Knie liegen und klopfte mir so lange auf den Rücken, bis die Lunge frei vom Schleim war. Die ersten Worte meiner damals einjährigen Tochter waren Hustgeräusche. Meine Stimme wurde immer leiser, schwächer und unverständlicher. Zu meinem 40. Geburtstag im Juni 2006 konnte ich nicht einmal mehr eine Ansprache halten, wie ich es eigentlich geplant hatte.
Im September 2006 war ich so erschöpft, dass ich mich gleich nach dem Frühstück wieder hinlegen musste, da war es wohl wirklich Zeit, ins Krankenhaus zu gehen. Die Ärzte nahmen mir Blut ab und waren entsetzt. Ich hatte eine hochgradige CO2-Vergiftung, da ich nicht richtig ausatmen konnte.
Ein Arzt nahm meine Frau zur Seite und meinte: „Will Ihr Mann überhaupt noch leben?“ Judit war über die Frage erstaunt und schockiert. Aber sie sah auch, dass die Ärzte mich nicht kannten, nicht meinen Lebenswillen und meine Lebensstärke. Die Ärzte sahen einen Patienten, der weder Arme noch Beine bewegen kann, der zu schwach zum Sprechen ist und nur mehr schwach atmen kann. Aus dieser ärztlichen Sicht war es verständlich, dass sie eine Patientenverfügung anregten.
Bei dem Gespräch zur Patientenverfügung waren Judit, die Oberärztin und ein Vertrauensarzt von mir anwesend. Ich konnte nicht laut und verständlich sprechen und flüsterte meine Worte in Judits Ohr, die mein Sprachrohr war. Es waren drei Wünsche: Ich wollte leben, ich wollte zurück zu meiner Familie und wenn möglich wieder arbeiten können. Dazu sollten die Ärzte alle Möglichkeiten ausschöpfen. Was sie auch taten; einen Tag später verlor ich das Bewusstsein und wachte erst drei Wochen später mit einem Beatmungsgerät auf.

Warum können Sie sprechen?

Vor kurzem war ich im Fahrtendienst unterwegs. Der Fahrer fixierte meinen Rollstuhl im Auto und meinte dann: „Herr Huainigg, was ich Sie schon immer fragen wollte, Sie sind doch beatmet, warum können Sie reden?“ Er führt öfters beatmete Menschen, die nicht reden können. Ich sagte ihm: „Man kann reden, auch mit einem Beatmungsgerät, man muss nur die Atemkanüle entcuffen, dem aufgeblasenen Ballon im Hals die Luft herausziehen.“ Ich hatte Glück, denn ich wurde im Otto-Wagner-Spital in Wien nach einer Gesundheitskrise 2006 versorgt und rehabilitiert. Dort wusste man, dass man mit einer ganz normalen Kanüle reden kann, was ich zunächst nicht konnte. Ich musste lernen, mit den Luftströmen umzugehen, brachte zuerst undeutliche Wörter hervor, die durch Training immer besser wurden. Heute weiß ich nicht, ob sich die Maschine an mich angepasst hat oder ich an die Maschine. Wir gehören zusammen. Gemeinsam haben wir schon einiges gemeistert: Vorträge bei Tagungen, die Stimme erhoben bei wichtigen Sitzungen von InteressensvertreterInnen, im Parlament Reden gehalten. Und auch jetzt im ORF gibt mir die Atemkanüle die notwendige Luft, um in Gesprächen und Sitzungen meine Ideen einzubringen und so manches Interview zu meistern. Geben wir beatmeten Menschen die Möglichkeit zu kommunizieren, geben wir ihnen Luft zum Sprechen. Dazu braucht es auch den Mut und das Wissen der Ärzte und der pflegenden Angehörigen. Kommunikation ist Leben!
Zu Hause leben mit Persönlicher Assistenz
Vor 30 Jahren hätte ich das Krankenhaus noch nicht verlassen können, wahrscheinlich wäre ich noch mit einer sogenannten Eisernen Lunge beatmet worden. Dank des technischen Fortschrittes gibt es Heimbeatmungsgeräte und ich kann sagen, dass man zu Hause ein Leben mit hoher Qualität führen kann, wenn die Angehörigen gut eingeschult sind und es Unterstützung von Persönlichen AssistentInnen gibt. Bis 2008 waren Pflegetätigkeiten von Persönlichen AssistentInnen in Österreich ein gesetzlicher Graubereich, auch wenn sie von einem Spital gut eingeschult worden sind. 2008 konnten wir in Zusammenarbeit mit der österreichischen Gesellschaft für Pneumologie und gegen massiven Widerstand der Pflegegewerkschaft – damals in meiner Funktion als Nationalratsabgeordneter und ÖVP-Behindertensprecher – gut an meinem Lebensbeispiel argumentiert durchsetzen, dass Pflegefachkräfte Persönliche AssistentInnen einschulen und spezifische Pflegetätigkeiten für den Einzelfall delegieren können. Das brachte Rechtssicherheit für Persönliche AssistentInnen und für die Betroffenen.
Wie sieht mein Alltag aus?

Seit Jahren brauchen wir keinen Wecker mehr. Es läutet an der Wohnungstür, meine Frau Judit drückt verschlafen den Türöffner. Es ist Punkt 7 Uhr. Mit einem fröhlichen „Guten Morgen!“ kommt Lia zur Tür herein. Seit einem Jahr ist sie Persönliche Assistentin, eine von meinem zehnköpfigen Unterstützungsteam. Hinter Lia kommt ein neues Gesicht zur Tür herein. „Das ist Pia, sie wird eingeschult“, stellt Lia sie meiner Frau vor. „Pia und Lia“, scherzt meine Tochter Katharina, die auch von der Glocke aufgewacht ist und sich mit Judit an den Frühstückstisch setzt, wo sie ihre Schüssel mit Müsli füllt. Das Teewasser wird aufgestellt, die Jalousien geöffnet und dann kommen beide Assistentinnen zu mir ans Bett. „Schönen guten Morgen! Gut geschlafen, viel geträumt?“, fragt Lia.
Pia wird seit einer Woche eingeschult, sie studiert Wirtschaft und möchte neben dem Studium etwas Sinnvolles machen. Fast täglich kommt sie mehrere Stunden zu mir, beobachtet das Tun der Assistentinnen und übernimmt nach und nach Tätigkeiten. Während sie mir den morgendlichen Vitamincocktail mit dem Strohhalm reicht, erzählt sie, dass sie von mir geträumt hat. Ich sei aufgestanden und gegangen. Ich verschlucke mich fast vor Lachen. Lia lächelt und meint: „Das haben wir Assistentinnen alle geträumt.“
Dann wird meine Atemkanüle mit einer Salzwasserlösung gespült und mit einem Katheter abgesaugt. Jetzt kann ich wieder freier atmen. Lia und Pia unterhalten sich über die nächsten Schritte im Tagesablauf. Jeder Schritt ist geplant. Für Pia muss es noch Routine werden. Ich kann nicht mitreden, in meiner Atemkanüle ist noch ein kleiner Ballon aufgeblasen, ich bin gecufft, die Luft kommt nicht an meine Stimmbänder. Aber durch Mimik, Gestik und stimmloses Sprechen kann ich mich gut verständlich machen.
Es ist eine Kunst, mein T-Shirt anzuziehen. Es bleibt beim Ellenbogen hängen, scheint zu eng zu sein, aber es gibt Tricks, wo und wie man ziehen und zupfen muss. Kennt man diese Tricks nicht, reißt zuerst das T-Shirt – und dann meine Nerven. Ich bin der Anziehexperte schlechthin, bin ich doch jeden Tag live dabei. Das Morgenprogramm mit Waschen, Anziehen, Durchbewegen der Arme und dem Setzen in den Rollstuhl dauert für mich Stunden, in der realen Zeit ist es nur eine gute Stunde. Leere Pausen? Nein. Ich höre den morgendlichen Nachrichten zu, die im Hintergrund im Radio laufen, gehe in Gedanken meine Tagestermine und Vorhaben durch, formuliere Mails und Briefe im Kopf, die ich später schreiben möchte, aber bis dahin meistens schon wieder vergessen habe. Ich liege nicht gerne im Bett, das ist für mich mit Krankheit und Stillstand verbunden. Rollstuhl bedeutet für mich Mobilität, unterwegs sein, leben. Und ich lebe gerne. Wenn ich mich in einem Video oder im Fernsehen sehe, erschrecke ich über mich selbst. Ziemlich behindert wirke ich da. Es ist eigenartig, wie Fremdsicht und Eigensicht auseinanderklaffen.
Die Abdichtung des Tracheostomas war lange Zeit ein Problem. Hier war Kreativität gefordert. Wir entwickelten eine spezielle Abdichtung mit Schaumstoff und Wattestäbchen. Lia und Pia tüfteln an der Abdichtung, alles soll perfekt sitzen. Dann der große Moment: Die Luft wird mit einer kleinen Spritze aus dem Cuffballon herausgezogen. Stille und angespanntes Warten der Assistentinnen. Kann er wieder reden? Er kann: „Guten Morgen!“.
Lange Zeit war die Abdichtung mit einem Scherz verbunden: „Wer ein dichter Politiker sein will, der muss richtig dicht sein, in meinem Fall richtig abgedichtet sein.“ Heute ist die Abdichtung genauso wichtig als Beauftragter für Barrierefreiheit im ORF. Dort möchte ich auch die Barrierefreiheit im Sprechen vorleben. Es beginnt mit einer klaren und starken Stimme bei Gesprächen und endet bei Radio oder Fernsehinterviews, die nicht verrauscht klingen dürfen. Im Notfall kann man natürlich immer zum Scherz sagen: Der Techniker ist schuld.
Mit dem Bus fahre ich ins ORF Zentrum. In den letzten Jahren hat sich in Richtung Barrierefreiheit einiges getan. Zum Glück bin ich auf meinem Weg zur Arbeit nicht mehr auf eine U-Bahn angewiesen. Denn oft musste ich bis zu neun alte U-Bahn-Züge abwarten, bis eine neue barrierefreie U-Bahn kam. Die neuen U-Bahn-Züge haben bei der ersten und letzten Tür eine automatisch ausgefahrene Rampe, über die ich mit meinem Elektrorollstuhl problemlos hineinfahren kann. Alte Züge sind aber auch noch unterwegs und werden erst nach und nach ausgetauscht.
Der Bus in Wien ist immer garantiert barrierefrei. Alle öffentliche Busse haben in der Landeshauptstadt eine mechanisch ausklappbare Rampe. Der Bus ist barrierefrei, was schwierig sein kann, ist der Faktor „Mensch“. Während die meisten Busfahrer sehr freundlich sind, gibt es hin und wieder auch Buslenker, die ungern ihren Fahrersitz verlassen und nur widerwillig die staubige Rampe krachend herausklappen. Die Bushaltestelle vor dem ORF-Zentrum liegt in einer Kurve. Es ist daher für den Busfahrer schwierig, den Bus so nahe an der Gehsteigkante zum Stehen zu bringen, dass die Rampe auf den Gehsteig ausgeklappt werden kann. In den nächsten Monaten soll das behoben werden. Es ist wichtig, dass Menschen mit Behinderungen im öffentlichen Verkehr sichtbare BürgerInnen sind und damit auch die Barrierefreiheit verbessert wird.
Nur einmal ist es passiert, dass ein Fahrer mich gar nicht mitnehmen wollte, weil er den Bus zu weit weg vom Gehsteig geparkt hatte und es nicht der Mühe wert fand, näher ran zu fahren. Er sagte kurz: „Der nächste Bus kommt in zwei Minuten, nehmen Sie den.“ Dann schloss er die Tür und fuhr ab. Natürlich kam der nächste Bus nicht zwei, sondern 15 Minuten später. So etwas darf nicht sein, fanden auch die Wiener Linien, der Busfahrer wurde zu einem Gespräch intern vorgeladen und bekam eine Nachschulung.
Im Büro angekommen, begrüßt mich meine Mitarbeiterin Lisa. Die Assistentin Lia saugt meine Atemkanüle ab und katheterisiert mich. Und dann kann die Arbeit losgehen. Der Laptop wird geöffnet, die Mails gecheckt. Lia liest mir nach und nach die Mails vor, die ich dann beantworte, indem ich Lia den Text diktiere.
Alle zehn Assistentinnen studieren in den verschiedensten Studienrichtungen. Mit ihrer Unterstützung kann ich ein selbstbestimmtes Leben führen, komme zur Arbeit, diktiere Texte am Computer, die ich aufgrund meiner Behinderung nicht selbst tippen kann, lasse mir Texte vorlesen, denn ich sehe auch schlecht. Seit 2004 gibt es die Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz, ein wichtiges Unterstützungsmodell, damit behinderte Menschen auch mit höherem Pflegeaufwand einer Arbeit nachgehen können. Ein Job bedeutet nicht nur Geld, sondern auch soziale Kontakte und immer wieder neue Herausforderungen.

Kindergarten und Schule mit Beatmungsgerät

Schulische Inklusion war für mich der Schlüssel für meinen ganzen Lebensweg. Inklusion ist wichtig und sie beginnt im Kindergarten und in der Schule. Das gilt natürlich auch für Kinder, die auf ein Beatmungsgerät angewiesen sind. In der Praxis gibt es da immer wieder Probleme und Fragestellungen: Wer darf die Atemkanüle absaugen? Wer kann die Kanüle wechseln, wer trägt die Verantwortung? Braucht es diplomiertes Pflegepersonal? Können das auch persönliche Assistentinnen machen? Oder müssen die Eltern immer dabei sein?
Hier einige Beispiele (Namen geändert):
Kevin ist 15 Jahre alt und ging bereits vor der Beatmung ins Gymnasium. Seit er beatmet ist, sitzt er zu Hause, schaltet unter der Woche seinen Computer ein und der Unterricht wird über eine Web-Cam in der Schulklasse für ihn mitverfolgbar. Kontakt zu seinen MitschülerInnen hat er nur sporadisch.
Michael war sechs Jahre alt und damit schulpflichtig. Die VolksschullehrerInnen waren bereit, sich einschulen zu lassen und es funktionierte wunderbar. Sie nahmen Michael sogar auf zwei Schulausflüge mit. Es war vom Aufwand her für sie kein Problem, da die medizinnahen Tätigkeiten nur sporadisch auftraten. Die LehrerInnen beschreiben es heute als positive Erfahrung und einen großen Gewinn, mit Michael die Schulzeit erleben zu dürfen. Michael ist inzwischen verstorben, aber nicht in der Schule und nicht an einer falschen Pflegeversorgung, sondern an seinem Krankheitsverlauf. Er verbrachte jedenfalls seine letzten Jahre gut integriert und er hatte viele Freunde.
Robin besucht seit zwei Jahren eine Volksschule in Oberösterreich. Es war schwierig für die Eltern, die Betreuung in der Schule vom Land finanziert zu bekommen. Letztlich ermöglichte das Land Oberösterreich mit großem finanziellen Aufwand die schulische Integration. An jedem Schultag ist über eine Hilfsorganisation eine diplomierte Pflegekraft beim gesamten Unterricht anwesend.

Forderungen und Anliegen

Kinder mit einer Beatmungsmaschine werden oft nicht in Integrationsklassen aufgenommen, da sich niemand mit dem Gerät auseinandersetzen und letztlich auch niemand die Verantwortung übernehmen möchte.
Persönliche Assistenz soll in Österreich bundesweit einheitlich geregelt werden. Hier gibt es unterschiedliche Finanzierungsregelungen in den Bundesländern. Nur so können beatmete Menschen integriert leben, in der Familie, im Beruf und in der Gesellschaft.
Es sollte möglich sein, dass Rehabilitationszentren auch querschnittgelähmte PatientInnen mit einem Beatmungsgerät aufnehmen. Das ist in Österreich derzeit nicht der Fall. Warum soll man keine Rehabilitation erhalten, nur weil man beatmet wird? Diese Lebenschancen muss es geben.
Es fehlt an Nachbetreuung, Tageskliniken und vor allem sollte der Übergang vom Spital nach Hause besser unterstützt werden. Hier mutet man pflegenden Angehörigen viel zu und hier wäre Unterstützung sinnvoll.
Man ist nicht behindert, man wird behindert
Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, war ich immer mit dem Verlust von körperlichen Funktionen konfrontiert. Meistens gelang es mir aber, diese Verluste als Herausforderungen anzunehmen. Darum möchte ich diesen Artikel zum Heftthema „Biographische Spuren“ mit einem Gedicht von mir abschließen:
Gott und die Welt

Als Kind waren meine Beine plötzlich gelähmt. Ich weinte und verstand Gott und die Welt nicht mehr. Da sprach Gott: Ich nehme Dir die Kraft der Beine und schenke Dir die Langsamkeit. So entdeckte ich eine neue Welt, langsam auf dem Boden kriechend.
Als Jugendlicher konnte ich plötzlich nicht mehr mit Krücken gehen. Ich weinte und verstand Gott und die Welt nicht mehr. Da sprach Gott: Ich nehme Dir die Kraft in den Armen und schenke Dir dafür Witz und Ironie. So entdeckte ich im Rollstuhl eine neue Welt und brachte auf der Kabarettbühne die Leute zum Lachen.
Jahre später konnte ich weder Arme noch Beine bewegen. Ich weinte und verstand Gott und die Welt nicht mehr. Da sprach Gott: Je weniger Du Dich bewegst, desto mehr bewegst Du. So begann ich die Welt ein wenig zu verändern und wurde Politiker.
Heute kann ich nicht mehr ohne Maschine atmen. Ich weinte und verstand Gott und die Welt nicht mehr. Da sprach Gott: Ich nehme Dir die Lungenkraft und schenke Dir einen langen Atem. Um für die Würde des Lebens zu kämpfen.
Franz-Joseph Huainigg, Dr.
Geboren 1966 in Paternion/Kärnten. Er studierte an der Universität Klagenfurt Germanistik und Medienkommunikation. In den 90er Jahren stand er als Krüppel-Kabarettist auf der Bühne, gründete im Bildungsministerium das Schülerradio und war journalistisch im ORF tätig. Von 2003–2017 war er Abgeordneter zum Nationalrat und Behindertensprecher der ÖVP. Seit 2019 ist er im ORF Beauftragter für Barrierefreiheit. Er ist Mitglied des Consulting Boards „Sonderpädagogik und schulische Inklusion“ im Bildungsministerium und als Autor tätig, wo er zahlreiche Bücher veröffentlichte. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Projekte, Initiativen und wie man mit Beatmung und Persönlicher Assistenz lebt, findet man auf seiner Homepage www.franzhuainigg.at.
mutzumglueck@gmail.com