Thema der Ausgabe 4/5/2018:

Emotional-soziale Entwicklung kompakt

Sie fordern sich und uns heraus. Vieles ist unbegreiflich, die Wege zum Verstehen sind verschlungen, aber nichts führt daran vorbei, dass wir zu ihnen stehen.

 

Intro:

Josef Fragner, Chefredakteur

Emotional-soziale Entwicklung kompakt

Die Fotos der Straßenkinder verstören, Fara Phoebe Zetzsche hat sie neun Monate lang in Berlin begleitet. So „einfach“ kann das losgehen: Mal mit Kumpels abhängen. Was trinken. Zu viele Drogen. Die Leistungen in der Schule werden schlecht. Die Eltern reden nicht mit einem. Man fühlt sich verloren. Auf der Straße werden Freundschaften zum Familienersatz. Die Jugendlichen suchen Nähe und Vertrauen, eine feste, funktionierende Beziehung, obwohl sie auf der Straße tough sein müssen, schildert Zetzsche. Wie schaut ihre Zukunft aus?

Dieser Zukunft ist Johannes Böhme nachgegangen. Als Zivildiener fuhr er eine Gruppe Kinder in den Kindergarten, allesamt „Sorgenkinder“. Neun Jahre später suchte er wieder nach ihnen. Entstanden sind „sieben Geschichten über das Aufwachsen mit Problemen, über Armut und Wohlstand, über Glücksfälle und Schicksalsschläge, über starke Eltern und schwierige Kinder“. Es sind die Geschichten von Sascha, David, Ronja, Lion, Lennard, Kjell und Patrick, von Gerhard Einsiedler und Eva-Maria Gugg anschaulich aufbereitet.

Der Thema-Teil trägt die Handschrift von Thomas Müller und dem Lehrstuhl „Pädagogik bei Verhaltensstörungen“ an der Universität Würzburg. Die Fragen zum Personenkreis im Förderbereich „Emotional-soziale Entwicklung“ stellt Roland SteinAndreas Elbert und Michaela Fischer zeichnen die Prinzipien von Erziehung und Unterricht heraus. „Als zentrales Prinzip der Unterrichtsgestaltung gilt das des ,therapeutischen Milieus‘: Es beinhaltet besonders die Annahme von und die Empathie gegenüber den Schülern.“

Sophie C. Holtmann und Tony Hofmann fragen nach den Gütekriterien einer gelingenden sonderpädagogischen Diagnostik. „Es geht nicht darum, mittels Diagnostik pauschal Eigenschaften eines Kindes zu ermitteln. Es kommt darauf an, konkret und individuell dem subjektiven Erleben des Kindes in einer spezifischen Situation Raum zu geben“ und sie fragen: „Wie wäre es, würde ich so etwas über mich persönlich lesen?“. 

Thomas Müller unterscheidet zwischen Vertrauen und Verlässlichkeit. Sich auf jemanden verlassen können, also nicht allem mit Misstrauen zu begegnen, ist schon eine Höchstleistung. Vielleicht erwarten wir zu viel, wenn Vertrauen mit Vertrauen beantwortet werden soll. Pierre-Carl Damian Link OSA analysiert die Dialektik von Allmacht und Ohnmacht in der pädagogischen Beziehungsarbeit. Er plädiert für eine „Haltung kultivierter Unsicherheit“. Pädagogik sollte „fürsorglich und empathisch der Erfahrung von Beziehungslosigkeit entgegenwirken“. Katharina Obens präsentiert erste Ergebnisse des Forschungsprojekts „Terrorangst und Radikalisierungsprävention“. Dabei ist es Aufgabe der Schule, „ein Klima zu schaffen, das den Austausch von Ängsten und Diskriminierungserfahrungen ermöglicht“.

Sophie C. Holtmann und Pierre-Carl Damian Link OSA stellen Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung in den Fokus ihres Beitrags. „Die Schwierigkeit besteht darin, einen ethisch verantwortlichen Weg zu finden, Kindern Raum für ihre Ängste und Nöte zu geben“. Annika Tulke beschäftigt sich mit einer besonderen Herausforderung: Erziehung im Jugendstrafvollzug. Dorothea Ehr wirft einen ganzheitlichen, multidimensionalen Blick auf Angststörungen, eine der häufigsten, aber kaum bemerkten Problematiken im Kindesalter.

„Du forderst mich mit Deinem Verhalten heraus und ich versuche zu verstehen, warum Du dies tust. Vielen ist unbegreiflich, warum ein Kind so offensichtlich gegen seine eigenen Bedürfnisse und gegen jegliche Vernunft handelt“, so Stephanie Blatz. Sie sucht nach Wegen der frühen Förderung. Hans-Walter Kranert beschäftigt sich mit den Hürden, die für viele Jugendliche im Übergang zum Beruf vorhanden sind. Sarah Hanglberger stellt ihrem Beitrag über Beratung das Motto voraus: „Es gibt etwas zu verstehen, bevor tragfähige Veränderung entstehen kann.“

Ein kompaktes Heft mit einem breiten Themenspektrum, das den realen Herausforderungen auf dem Gebiet der Emotional-sozialen Entwicklung gerecht zu werden versucht.

 

Leseproben:

Die Zeichnung zeigt einen Menschen, der von einer Hornisse in die Brust gestochen wird. Das Wort "Au" und die Schrift "Hornissenstich bei Menschen"...
Porträtfoto von  Dr. Thomas Müller
Fachthema
Thomas Müller

Vertrauen oder Verlässlichkeit?

In der sonderpädagogischen Praxis tut man oft so, als sei ohne Vertrauen keine professionelle Beziehung möglich. Zumindest scheint dies als Axiom über der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu schweben. Man müsse „erst einmal Vertrauen schaffen“ oder „ohne Vertrauen geht nichts“ sind Sätze, die man immer wieder hören kann, besonders dann, wenn es schwierig wird, man nicht weiter weiß, sich Vertrauen nicht einstellen will oder dieses zerbrochen scheint.

Inklusion - quo vadis?
Porträtfoto von Prof. Dr. Ewald Feyerer
Interview
Ewald Feyerer

Inklusion – quo vadis?

Der Leiter des Institutes für Inklusive Pädagogik und des Bundeszentrums Inklusive Bildung und Sonderpädagogik (BZIB) an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich, Ewald Feyerer, im Interview:

Nahaufnahme von Händen, die an einem Kontrabass die Saiten zupfen. Foto: Oliver M. Reuter
Nahaufnahme von Händen, die an einem Kontrabass die Saiten zupfen. Foto: Oliver M. Reuter
Forschung
Oliver M. Reuter, Roland Stein, Tanja Wilkeneit, Sabine Wolz

Chancen der ästhetischen Bildung: Gegen die Biografie des Scheiterns

Im Forschungsprojekt WaeBi untersucht die Universität Würzburg Gelingensbedingungen und Wirkungen ästhetischer Bildung für Jugendliche in sozial schwierigen Situationen. Hierzu werden bundesweit Projekte besucht, die sich mit den Mitteln der ästhetischen Bildung um Jugendliche kümmern.

Erziehung und Unterricht im Kontext einer Pädagogik bei Verhaltensstörungen
Andreas Elbert, Michaela Fischer
Fachthema
Andreas Elbert, Michaela Fischer

Erziehung und Unterricht im Kontext einer Pädagogik bei Verhaltensstörungen

Ausgangspunkt unserer Überlegungen zu Erziehung und Unterricht bildet eine vorerst vom Kontext Verhaltensstörungen unabhängige Beschäftigung mit der Frage, wodurch sich heilpädagogisches Handeln auszeichnet. Zunächst ist es als modifiziertes allgemeinpädagogisches Handeln zu begreifen, eine spezialisierte Heilerziehung verändert das Vorgehen der allgemeinen Erziehung nicht grundlegend (vgl. Hillenbrand 1999, 14f.). Möckel (1982) liefert mit seiner heilpädagogischen Konzeption ein bedeutsames Verständnis von Heilpädagogik, das im Hinblick auf Erziehung und Unterricht und somit im Hinblick auf die Organisation von Lernen als Handlungsbasis gedacht werden kann.

Abstraktes, in blau gehaltenes Gemälde – Copyright: Eva-Maria Gugg
Porträtfoto von Erwin Riess, Foto: Privat
Kommentar
Erwin Riess

Vom Vorreiter zum Nachzügler

Österreich unterzeichnete zwar als erster Staat die UN-Behindertenrechtskonvention, liegt in der Umsetzung aber in nahezu allen Bereichen zurück. Ein kritischer Blick auf die heutige Situation.

Willi sitzt im Schneidersitz auf der mit dem Klodeckel verschlossenen Klomuschel. Auf seinen Knien hält er ein Computerspielzeug. Foto: Matthias Wi...
Willi sitzt im Schneidersitz auf der mit dem Klodeckel verschlossenen Klomuschel. Auf seinen Knien hält er ein Computerspielzeug. Foto: Matthias Wi...
Willis Insiderwissen
Birte Müller

Scheiße – Windeln!

Willi ist nun schon elf Jahre alt. Ich finde, dass vieles über die Jahre einfacher geworden ist. Das eine oder andere wird jedoch auch schwieriger, wenn sich langsam entwickelnde Kinder groß werden. Außer der Zunahme des Körpergewichts empfinde ich zum Beispiel die Zunahme des Windelinhaltes als durchaus unpraktisch.

Inhalt:

Artikel
Förderbereich emotional-soziale Entwicklung: der Personenkreis
Erziehung und Unterricht im Kontext einer Pädagogik bei Verhaltensstörungen
Prozess – Interaktion – Erleben
Vertrauen oder Verlässlichkeit?
Zur Dialektik von Allmacht und Ohnmacht pädagogischer Beziehungsarbeit
Resilienz stärken, Verletzbarkeit anerkennen
Ziele und Zugänge traumapädagogischer Arbeit
Erziehung im Jugendstrafvollzug – eine sonderpädagogische Herausforderung?
Angststörungen – eine vergessene wie auch verkannte Problematik?
Frühe Förderung und Prävention
Transition Schule – Beruf
Beratung im Förderschwerpunkt emotional-soziale Entwicklung
Chancen der ästhetischen Bildung: Gegen die Biografie des Scheiterns
Die Geschichten von Sascha, David, Ronja, Lion, Lennard, Kjell und Patrick
Scheiße – Windeln!
Ein Ton namens I
Inklusion – quo vadis?
Problemfeld „Autismus und Schule“
„Stray Kids“ – Auf den Straßen Berlins
Gemeinsames Reisen mit allen Sinnen für blinde und sehende Menschen
Auf dem Weg aus der Isolation
Vom Vorreiter zum Nachzügler
Ohrenschmaus aufgeblättert!
Schulische Inklusion
Zur Sprache finden mit Sinn-Bildern
SASCHA – „Nicht mehr auffallen“
DAVID – „Ich habe mich angepasst“
RONJA – Rückennummer 28
LION – „Ist doch alles gut!“
LENNARD & KJELL – Mittelschicht
PATRICK – „Weil sie mich beleidigen“