Eine feingliedrige detailreiche Graphitzeichnung zeigt eine Vorstadtlandschaft mit Wohnhäusern, Baumalleen, Straßen und einem Fluss.

Stress und Entspannung bei Menschen mit Autismus – Grafik: Tim ter Wal, "Tims eye Almere Fantasy" (2017). Tim ter Wal ist ein außergewöhnlicher autistischer Künstler mit fotografischem Gedächtnis. Seit seinem siebenten Lebensjahr interessiert er sich für städtische Landschaften.

aus Heft 2/2018 – Fachthema
Christine Preißmann

Stress und Entspannung bei Menschen mit Autismus

Menschen mit Autismus fühlen sich in allen Lebensbereichen ganz erheblichem Stress ausgesetzt. Lange wurde das nicht als Problem erkannt, und erst allmählich beginnt man, sich im Zusammenhang mit Autismus auch mit den Themen Stress und Entspannung zu beschäftigen. Die Betroffenen selbst beschreiben sehr deutlich, dass sie sich im Rahmen therapeutischer Maßnahmen vor allem Unterstützung im Hinblick auf den alltäglichen Stress wünschen – also Hilfe dabei, wie sie sich in solchen Momenten gut schützen können (Vogeley 2012; Preißmann 2013). Das zeigt, wie belastet sie sich fühlen und welch große Bedeutung dieser Themenbereich hat. Wichtig ist es dabei, vor allem die Erfahrungen von Betroffenen zu erfragen und die Strategien zu beachten, die Menschen mit Autismus für sich erarbeitet haben. In diesem Beitrag kommen daher viele betroffene Menschen selbst zu Wort, die beschreiben, was ihnen hilft. Ihre Lösungen sollen dazu anregen, individuelle Hilfen zu finden, um den Alltag zu meisten.

 

1. Häufige Ursachen von Stress

Was ein Mensch als stressig empfindet, ist individuell unterschiedlich: Arbeiten unter Zeitdruck, hoher Leistungsdruck, Fremdbestimmung, Existenzängste, Familien- oder Partnerschaftskonflikte, Schmerzen oder Traumata gehören ebenso dazu wie ernste Erkrankungen oder der Tod nahestehender Menschen. 

Bei autistischen Menschen aber kommen neben diesen allgemeinen Stressauslösern noch andere hinzu, die für die meisten anderen Menschen keine solch große Rolle spielen:

 

Sozialkontakte; sie werden meist als am stärksten anstrengend empfunden. Wenngleich sich die Betroffenen ein Zusammensein häufig sehr wünschen, bedeutet der Kontakt eine große Anstrengung, auch dann, wenn er als schön und angenehm empfunden wird

Veränderungen, insbesondere solche, über deren Sinn und Zweck man nicht bereits im Vorfeld informiert war

Schwierigkeiten und Missverständnisse, z. B. im kommunikativen Bereich

Unverständnis und Hänseleien seitens der Umgebung

ungünstige Arbeitssituation mit oft nicht angemessenen Arbeitsinhalten (weit unterhalb der eigenen Möglichkeiten), fehlender Unterstützung und nicht passenden Rahmenbedingungen

unzureichende psychosoziale Hilfen bei gleichzeitiger Realisierung des Hilfebedarfs

ungünstige gesellschaftliche Veränderungen und Erwartungen („immer schneller, immer effektiver“, Forderung nach Teamarbeit etc.)

die zunehmende Verdichtung von Sinnesreizen auch in der Freizeit durch Einkaufszentren, Bahnhöfe etc., aber auch durch soziale Medien

eigene Persönlichkeitsmerkmale wie Perfektionismus oder die mangelnde Fähigkeit, anderen Menschen zu vertrauen und Aufgaben an sie zu übertragen.

Der folgende Bericht einer betroffenen Mutter verdeutlicht, welch großen Stress das alltägliche Leben für autistische Menschen häufig bereits bedeutet. Wenn dann noch ungeplante und schwierige Situationen hinzukommen, kann der Stress oft nicht mehr kompensiert werden:

„Musik stresst ihn und löst ungewollte Reaktionen in ihm aus, ebenso viele Menschen, Familienfeste oder Klassenfahrten. Er mag keine außerschulischen Veranstaltungen, da die Ungewissheit des Ablaufs ihn schon stresst. Alles, was er nicht kalkulieren kann, stresst ihn und baut eine Art Leidensdruck auf. Dann fragt er immer wieder dasselbe, um diesen Druck abzubauen. Die Frage, was er sich denn wünsche, stresst ihn ebenso wie unerwarteter Besuch oder fremde, an der Tür klingelnde Menschen, die womöglich auch noch unser Haus betreten wollen. Handwerker sind dabei der ,Super-GAU, da sie im schlimmsten Fall sogar noch zur Toilette müssen. 

Schwierig wird es, wenn man ihm zu viel anbieten will. Der Besuch eines Vergnügungsparks bereitet ihm eher Stress als Vergnügen. Beim Einkaufen stressen ihn die Musik und die vielen lauten Menschen, wobei mich bei ihm stresst, dass er bei jedem Produkt, das ich kaufen will, auf das Haltbarkeitsdatum gucken muss. Was für viele Menschen im Sommer eine große Freude ist – nämlich der Kauf von ein paar Kugeln Eis beim Italiener –, bedeutet für ihn eine unglaubliche Herausforderung: Man muss sich anstellen, sich einen raschen Überblick über die Auswahl verschaffen und dann schnell bestellen, weil hinter einem so viele andere Leute warten“ (N. Schinhofen, in: Preißmann 2017, S. 55).

2. Strategien zur Bewältigung von Stress- und Krisensituationen

Viele autistische Menschen entwickeln im Laufe der Zeit zahlreiche Strategien, um ihren Alltag so gestalten zu können, wie es für sie gut ist. Die wichtigsten Maßnahmen sollen hier vorgestellt werden. Natürlich ist es aber wichtig, in jedem Einzelfall individuell passende Hilfen auszuwählen:

Vermeidung

Schwierige Situationen, die für den betroffenen Menschen eine Überforderung bedeuten, werden oft so weit wie möglich vermieden. Das kann der Aufenthalt in großen Einkaufszentren sein, ein Discobesuch oder auch der Körperkontakt. Man muss immer wieder abwägen, was möglich ist und was zu viel wird: „Ich bin glücklich, dass ich an manchen Tagen einfach nur lesen und an anderen Tagen nur nähen oder schreiben kann. Und dann freue ich mich wieder über den Geruch von frisch gemähtem Gras, die Duftwolke über dem Rapsfeld, den Geruch von Regen oder die wunderschöne Form einer Schneeflocke. Alles Dinge, die ich früher auch gesehen und wahrgenommen habe, als der Stress die Freude aber nicht zuließ“ (H. Junker, in: Preißmann 2015, S. 45). – „Es macht mich glücklich, ein Buch zu lesen, den Moment der Ruhe in der Nachmittagssonne auf dem Balkon zu genießen, die ersten Schneeglöckchen und Krokusse im Frühjahr zu bewundern, den Eichhörnchen beim Klettern im Baum zuzusehen. Ich muss mich nicht mit vielen Menschen umgeben, nur damit ich dem Durchschnitt der Gesellschaft entspreche“ (S. Fischer, in: Preißmann 2015, S. 47).

Rückzug

Der soziale Rückzug als eine besondere Form der Vermeidung spielt eine sehr große Rolle. Die ständige Anwesenheit anderer Menschen bedeutet für viele Betroffene eine massive Überforderung, sie benötigen häufige Phasen des Alleinseins, um sich erholen und entspannen zu können: „Sehr schwierig waren auch die Pausen, die unkontrolliert, chaotisch und ohne jede Regel abzulaufen schienen. Manchmal saß ich in diesen freien Zeiten auf der Schultoilette, die mir zu einem ruhigen Zufluchtsort wurde, wenn das Chaos um mich herum zu groß wurde (…). Eine große Hilfe wäre es für mich gewesen, wenn ich diese freie Zeit im Klassenraum oder in der Schülerbibliothek etc. hätte verbringen können“ (Preißmann 2013b, S. 18). 

Auch auf die häufigen Missverständnisse und Konflikte im Umgang mit anderen Menschen reagieren die Betroffenen nicht selten mit Rückzug, obwohl sie sich eigentlich ein Miteinander wünschten. Gerade in der Pubertät werden die Unterschiede zu den Gleichaltrigen oft besonders deutlich: „Die anderen Kinder lernten schnell, wie sie mich am besten vorführen und über mich herziehen konnten. Ich war ein einfaches Opfer: Ich war sehr gutgläubig und beschäftigte mich mit »Babykram«, weil ich mir noch die Sesamstraße ansah, Kinderkassetten hörte und Pullover mit Kindermotiven anzog“ (C. Meyer, in: Preißmann 2013b, S. 23). Erfüllende Freundschaften und Beziehungen aber wirken eben auch wie eine „Wunderwaffe“ gegen Druck und Frust. Wer von anderen Menschen unterstützt wird, hat deutlich weniger Stresshormone im Blut. Es ist also wichtig, auch autistischen Menschen dabei zu helfen, befriedigende soziale Beziehungen aufzubauen zu Menschen, die sie akzeptieren, die sie mögen und die sich auf ihre Besonderheiten einlassen können: „Treffen müssen für mich verlässlich, regelmäßig und planbar sein. Aber die wenigsten Leute lassen sich darauf ein, sondern sie verlieren bei diesen Bedingungen sehr schnell das Interesse, und mir fällt es sehr schwer, mich auf neue Leute einzulassen oder überhaupt Kontakt zu ihnen zu bekommen“ (S. Merz, in: Preißmann 2015, S. 40).

Wohlwollende Bezugspersonen

Aktivitäten mit Bezugspersonen, die auf die Besonderheiten der Betroffenen Rücksicht nehmen, sind sehr wichtig (vgl. S. Dietsch, in: Preißmann 2013a, S. 18–23). Viele Menschen mit Autismus beschreiben die große Bedeutung ihrer Familie: „Ich genoss die Zeit mit meiner Familie, auch wenn ich sie sicher sehr viele Nerven gekostet habe. Unsere Urlaubsreisen sind mir trotz allem Stress in guter Erinnerung geblieben. Meine Eltern unternahmen viel mit uns Kindern, es war schön, dass sie in den Ferien so viel Zeit für uns hatten“ (C. Meyer, in: Preißmann 2013b, S. 24). 

Auch Vereine und Verbände können eine gute Möglichkeit sein, schöne Kontakte zu knüpfen: „Da ich nicht so viele Freunde habe, habe ich gelernt, dass es wichtig ist, sich z. B. Kirchengruppen oder Vereinen anzuschließen, um gemeinsame Aktivitäten zu unternehmen. Seit einigen Jahren führe ich einige Tätigkeiten in der Kirche durch. Meistens sind das Kinderferienprojekte oder Kinderbetreuungen jeglicher Art. Auch die Planung solcher Projekte gehört mit dazu. Von den Kindern bekomme ich immer gute Rückmeldungen“ (N. König, in: Preißmann 2017, S. 58).

Körperliche Veränderungen

Wenn die Eltern das Kind beispielsweise in den Arm nehmen möchten, macht es sich nicht selten „steif“ und spannt extrem die Muskulatur an, um die Empfindlichkeit gegenüber dem als unangenehm empfundenen Reiz zu verringern. Viele Betroffene zeigen außerdem motorische Stereotypien, etwa den „Zehenspitzengang“, ein rhythmisches Schaukeln, wildes Grimassieren, ein wiederholtes Sich-Drehen um die eigene Achse oder das Flattern mit den Händen. Bei Aufregung und in Stresssituationen treten diese Stereotypien gehäuft auf, da sie eine sehr beruhigende Wirkung haben. Viele autistische Menschen beschreiben dies: „Andere Methoden, um mich gegen die Welt abzuschotten, wenn ich von übermäßigem Lärm bedrängt wurde, bestanden darin, dass ich rhythmisch hin und her wippte oder mich im Kreis drehte. Das Wippen gab mir ein Gefühl der Ruhe“ (Grandin 1997, S. 53). 

Willey hat eine andere Möglichkeit für sich entdeckt, quasi einen externen Filter, um die Menge der eintreffenden Reize zu reduzieren: „Legen Sie sich Ihre Hände so vor das Gesicht, dass Sie nur noch die Dinge in Ihrer Gesichtsmitte wahrnehmen. Versuchen Sie, sich auf die Dinge in der Mitte vor Ihnen zu konzentrieren und ignorieren Sie alles in Ihrem peripheren Gesichtsfeld“ (Willey 2003, S. 189). 

Dietmar Zöller schließlich hat herausgefunden, dass er mit scharf gewürzten Speisen seinen Geschmackssinn überreizen und dadurch starke akustische oder visuelle Reize abschalten kann (vgl. Zöller 2001, S. 76).

Andere Maßnahmen gegen Reizüberflutung

Schwierigkeiten bereitet vielen Betroffenen ihre oft sehr sensible Sinneswahrnehmung. Was wann zu viel ist, kann man so pauschal gar nicht sagen, das ist bei jedem anders und auch sehr von der „Tagesform“ abhängig. Generell aber sind viele verschiedene Sinnesreize in starker Ausprägung für autistische Menschen nur schwer zu ertragen. Sie kosten viel Energie und führen dann zu einer Überforderung, einem „Dauerstress“, zu rascher Ermüdung und dem Wunsch, möglichst reizarme Orte aufzusuchen oder auf andere Weise Energie zu sparen. 

Als mögliche Strategien bei einer (drohenden) Reizüberflutung werden z. B. beschrieben (vgl. Preißmann 2017, S. 50–51):

sich in ein ruhiges Zimmer zurückziehen, hinsetzen oder hinlegen,

in der Natur spazieren gehen, sich bewegen,

kaltes Wasser trinken, Eiswürfel lutschen, kalt duschen,

Entspannungsverfahren anwenden, die vorher erlernt wurden und als hilfreich erlebt werden,

mögliche Hilfsmittel zur Reizabschirmung nutzen (Kopfhörer, Jalousien zur Verdunklung, schallschluckende Trennwände im Büro etc.),

verschiedene Nahrungsmittel ausprobieren (frische Produkte wie Obst etc.; Kaffee, Cola o. ä.),

etwas tun, das individuell beruhigt (eigenes Spezialinteresse, Hin- und Herschaukeln etc.; häufig auch hilfreich: kognitive Leistungen wie das Aufsagen von Reimen, Kopfrechnen, einfaches monotones Rückwärtszählen o. ä.).

fester Druck am Körper, etwa durch eine schwere Weste, eine feste Decke oder andere Gegenstände, 

Igelball, scharfe Gewürze, Chilischote, Senfkörner, Meerrettich o. ä.,

Sicherheit durch die Anwesenheit eines verständnisvollen, ruhigen Menschen (kann bei manchen Menschen in solchen Situationen aber auch kaum auszuhalten sein; sie wünschen sich dann eher das Alleinsein),

evtl. auch medikamentöse Hilfen (z. B. Aspirin, Paracetamol, Metoclopramid, vielleicht auch Migränemittel, da manchmal ähnlich anmutende Symptomatik),

ausreichend trinken (Wasser, Tee oder Fruchtsaftschorle etc.).

 

„Ich bemerke Situationen der Reizüberflutung mittlerweile schon in einem früheren Stadium, sodass ich selbst noch etwas unternehmen kann. Ich habe festgestellt, dass eine rechtzeitig eingenommene Aspirin-Tablette in Kombination mit Tropfen gegen Übelkeit und Koffein in Form eines Espresso oder einer halben Flasche Cola light dann noch rechtzeitig helfen können (…). Früher habe ich mich in solchen Momenten oft in meinem Zimmer auf den Boden gelegt und meinen Couchtisch mit der Tischplatte nach unten auf mich gelegt. Der Druck beruhigte mich rasch. Was vielleicht skurril ausgesehen haben mag, war intuitiv genau das Richtige (…). Außerdem habe ich auch bemerkt, dass ich an kalten Tagen sehr viel mehr Reize ertragen kann, dass Kälte also die Reizaufnahme hemmt. Ich finde das eine sehr wichtige Erkenntnis, denn manchmal kann ich auf diese Weise die Anforderungen gezielt steuern und anpassen“ (Preißmann 2017, S. 117).

Kognition

Das Wissen um das, was einen erwarten wird, macht viele Alltagssituationen leichter. Es ist daher eine sinnvolle Strategie autistischer Menschen, sich möglichst ausführlich über alle neuen Herausforderungen zu informieren: „Wenn ich gut informiert bin – und dafür versuche ich meist durch neugierige Fragen selbst zu sorgen – dann machen mir Krankenhäuser keine Angst“ (D. Leineweber, in: Preißmann 2013a, S. 161). 

Die bestehenden intellektuellen Fähigkeiten nutzen autistische Menschen oft auch, um die erforderlichen lebenspraktischen oder kommunikativen Kompetenzen zu erlernen, die andere Menschen ganz selbstverständlich nebenbei erwerben. Beispiele dafür sind uneindeutige sprachliche Ausdrücke, Sprichwörter oder Redewendungen, deren Bedeutungen sich ihnen nicht von selbst erschließen und die deshalb nicht selten einfach auswendig gelernt werden. Auf diese Weise gelingt es betroffenen Menschen mit einer hohen Intelligenz, manche ihrer Schwierigkeiten zu tarnen, was allerdings mit einer erheblichen Anstrengung verbunden ist und viel Kraft kostet. Auch hier helfen dann wieder kognitive Strategien: „Ich bemühe mich, mir nur Gedanken zu den Problemen zu machen, die ich ändern kann. Das erspart mir viel Stress“ (L. Klom, in: Preißmann 2015, S. 30).

Herausfordernde autistische Verhaltensweisen

Das autistische Verhalten mit vermeintlich unkontrollierten Impulsdurchbrüchen oder anderen scheinbar unsinnigen Verhaltensauffälligkeiten ist ebenfalls eine Form der Bewältigung und hilft dabei, die oft nicht überschaubare Welt zu strukturieren und vorhersehbar zu machen. Es ist keinesfalls als Provokation gemeint. Eine genaue Verhaltensbeobachtung und die Deutung im Hinblick auf die auslösenden Umstände sind daher sehr wichtige Bestandteile der Arbeit mit autistischen Menschen. „Ich schaukele gern oder wippe brummend hin und her, wenn ich angespannt bin, und es macht mir nichts aus, wenn die Spaziergänger etwas seltsam zu mir hinübersehen“ (E. Jovin, in: Preißmann 2015, S. 51). – „Martin, ein autistischer Junge, weigert sich, Anoraks, Mäntel oder Pullover mit Reißverschluss anzuziehen. Daraufhin kommt es immer wieder zu erheblichen Auseinandersetzungen („Kämpfen“) mit seiner Mutter. Für Martin ist sein Verhalten zweckmäßig, weil er die Geräusche des Zuziehens eines Reißverschlusses nicht aushalten kann“ (Theunissen 2016, S. 8). Generell ist es bei allen Symptomen, die ein Mensch zeigt und die man nicht einordnen kann, wichtig, danach zu fragen, welchen Sinn und welche Bedeutung jenes Verhalten für den Betreffenden hat. Nur so lassen sich Missverständnisse und Fehlinterpretationen vermeiden.

Aktiv werden

Sinnvoll sind vor allem ausdauernde körperliche Tätigkeiten sowie solche Aktivitäten, bei denen das gemeinsame Tun mit anderen Menschen im Vordergrund steht, etwa Kochen, Fotografieren, Wandern, gemeinsame Ausflüge etc. Dabei müssen jedoch passende Rahmenbedingungen gegeben sein: „Insgesamt erscheint es mir nötig, dass man einen guten Stressbewältigungsmechanismus aufbaut. Seit vielen Jahren benutze ich dafür das Joggen. Meist laufe ich die gleiche Strecke (immer einfach am Fluss entlang), denn so spare ich Energie (auf neue Wege müsste ich mich mühsam konzentrieren, denn ich habe einen sehr schlechten Orientierungssinn). Durch die körperliche Belastung schaffe ich es, die sich im Arbeitsalltag angehäuften Gedanken (…) in eine Ordnung zu bringen. Erst mit einer gewissen Ordnung kann ich mich an die Erarbeitung von Lösungsstrategien für Probleme machen“ (N. Höhlriegel, in: Preißmann 2013a, S. 65). – „Körperlich fit zu sein ist wirklich empfehlenswert. Egal, ob Treppen zu steigen oder Berge hochzufahren sind, das macht alles keine besondere Mühe mehr. Seit ich Fahrrad fahre, ist auch mein Stressniveau geringer, weil die körpereigenen Abbauprozesse der für den Stress verantwortlichen Hormone unterstützt werden“ (M. Behrendt, in: Preißmann 2017, S. 33).

Vorhersehbarkeit

Unerwartete Ereignisse und Veränderungen aller Art gehören für autistische Menschen zu den größten Problemen in ihrem Leben. Da sie immer dann Stress empfinden, wenn sie überrascht werden von Dingen oder Situationen, die sie so nicht erwartet haben, ist es in allen Lebensbereichen hilfreich, ihnen so viele Informationen wie möglich zur Verfügung zu stellen, Veränderungen rechtzeitig anzukündigen etc. Das betrifft manchmal auch für andere Kinder ausgesprochen freudige Ereignisse wie Weihnachtsgeschenke, die den Betroffenen aber eher Stress bereiten können. Dann kann es sinnvoll sein, auch hier vorherige Informationen zu geben: „Sie bekam auch keine ‚Überraschungsgeschenke‘ mehr, sondern wurde vor Weihnachten ‚darauf vorbereitet‘. So konnte sie sich über diese neuen Dinge freuen und war nicht von den vielen neuen Eindrücken ‚erschlagen‘“ (M. Bayer, in: Preißmann 2013b, S. 38).

Leben im Hier und Jetzt

Eine mögliche Strategie dabei, das Leben vorhersehbar zu gestalten, ist das Leben in der Gegenwart. Viele Betroffene beschreiben dies: „Wenn ich über die Zukunft nachdenke, macht mir das höchstens Angst. Ich fühle mich hilflos und ausgeliefert, weil ich aus dem Hier und Jetzt so gut wie nichts kontrollieren kann. Es ist für mich kaum zu ertragen, dass ich noch nicht mal sicher wissen kann, in welchem Beruf ich arbeiten werde, ob ich überhaupt arbeitsfähig sein werde und genug Geld zum Leben verdienen kann. Da mich diese Gedanken so schaffen, verdränge ich sie einfach“ (Schuster 2007, S. 254). Das Leben in der Gegenwart ist aber nicht nur Vermeidung, sondern es wird als äußerst entspannend und erholsam beschrieben (vgl. Preißmann 2015).

Neuorientierung

In beruflicher Hinsicht beispielsweise kann auch die Selbstständigkeit eine Bewältigungsstrategie sein, wenn der Betroffene merkt, dass er im Angestelltenverhältnis z. B. aufgrund der erwarteten Flexibilität oder wegen häufiger Veränderungen nicht zurechtkommt, und wenn er über entsprechende Qualifikationen verfügt, die diese Maßnahme ermöglichen. Aber auch in anderen beruflichen Situationen ist es möglich, die Rahmenbedingungen zu verbessern: „Wird es am Abend wieder früher dunkel, beende ich meine Arbeit auch früher, damit ich nach Hause komme, solange es noch hell ist. Zudem unterbreche ich meine Tätigkeit in der Regel im Laufe des Nachmittags und gehe eine Runde in gutem Tempo spazieren. Diese Maßnahmen helfen mir, entspannt zu bleiben (…). Es hat einige Zeit gedauert, bis ich mir zugestand, weniger zu arbeiten als viele andere Menschen. Ich erkrankte schwer, bis ich allmählich zu verstehen begann. Zu verstehen, dass es Sinn macht, dafür zu sorgen, dass ich bei der Arbeit glücklich bin und nicht ständig unter Spannung stehe“ (I. Köppel, in: Preißmann 2015, S. 67). Insgesamt ist in allen Lebensbereichen eine solche Neuorientierung denkbar.

Nutzung externer Hilfen

Für viele Schwierigkeiten des Alltags lässt sich Unterstützung finden, wenn man danach sucht: Hilfe beim Einkauf etwa, bei der Freizeitgestaltung, beim Wohnen, bei Behördengängen und Arztbesuchen oder beim Gestalten der sozialen Kontakte. Während in allen Lebensbereichen anfangs eine intensive Unterstützung notwendig ist, lässt sich diese nach einiger Zeit häufig deutlich reduzieren, da auch autistische Menschen in der Lage sind, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erlernen, die sie im Alltag selbstständiger werden lassen. Auch die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung bzw. der Schwerbehindertenausweis gehören in diese Kategorie und können eine große Hilfe darstellen, um den Kontakt zur Umgebung zu verbessern. Die Gesellschaft tritt ja Personen, die „anders“ wirken, nach wie vor eher mit Abneigung als mit Offenheit und Verständnis gegenüber, solange die Hintergründe nicht bekannt sind.

Nutzung therapeutischer Hilfen

Therapeutische Unterstützung kann dabei helfen, eine eigene Identität zu entwickeln, die eigenen Schwierigkeiten und Besonderheiten zu akzeptieren und besser damit umgehen zu lernen, gleichzeitig aber auch die bestehenden Stärken und Ressourcen möglichst gewinnbringend einzusetzen, um das Leben so gut wie möglich entsprechend der eigenen Wünsche und Bedürfnisse gestalten zu können: „Für mich haben sich durch die lange therapeutische Unterstützung meine Selbstständigkeit und vor allem meine Lebensfreude ganz entscheidend verbessert. Ich kann schwierige Situationen mit meiner Therapeutin durchsprechen, um dann Möglichkeiten zu erarbeiten, wie solche Momente besser laufen könnten. Meist geht es dabei um Kontakte zu anderen Menschen im beruflichen wie im privaten Bereich (…). Auch der Umgang mit Gefühlen lässt sich in einer Therapie trainieren, man wird sicherer dabei, wichtig dafür sind vor allem eigene Beispiele der Therapeutin. Es hilft mir sehr, wenn sie aus ihrer Erfahrens- oder Erlebniswelt berichtet. Oft lässt sie mich auch heute noch aus mehreren Möglichkeiten auswählen, wenn ich nicht weiß, wie ich mich in verschiedenen Situationen gefühlt habe. Sie gibt mir also Beispiele vor, wie es bei anderen Menschen ist oder wie es bei mir hätte sein können. Von diesem Vorgehen profitiere ich sehr“ (Preißmann 2017, S. 105).

Spezialinteressen, Routinen und Rituale

Menschen im autistischen Spektrum sind stark auf Sicherheit und Stabilität in ihrem Leben angewiesen. Veränderungen, starke sensorische Belastungen oder die fehlende Struktur sind große Herausforderungen, sie machen Angst und können zur Belastung werden. Feste Rituale, die das Miteinander oder auch den Tagesplan regeln, tragen erheblich zur Stabilisierung und zur Entspannung bei. Routinen und Rituale sind deshalb gerade in schwierigen Zeiten wichtige Instrumente zur Selbstberuhigung: „Wichtig sind mir auch Routinen und Rituale, die verlässlich wiederkehren. Auch dadurch erklärt sich wohl meine Liebe zum Weihnachtsfest. Ganz egal, ob es mir gut geht oder eher nicht, ob ich müde, traurig oder glücklich, gesund oder krank bin – es wird in jedem Jahr aufs Neue Weihnachten werden. Für jeden Menschen und auch für mich. Das hat etwas ungeheuer Tröstliches. Die Welt verändert sich rasant, Stabilität und Sicherheit sind rar geworden, aber Rituale sind verlässlich und geben Sicherheit. Das macht sie für mich so wichtig, dass ich sie vor allem in schwierigen und anstrengenden Zeiten ganz gezielt in mein Leben einbaue. Das kann dann so aussehen, dass ich in diesen Momenten meinen Tag sehr eng strukturiere und ganz gezielt so plane, wie es gut für mich ist. Es ist wichtig, zumindest ein Stück weit die Kontrolle über das eigene Leben behalten und eigene Entscheidungen treffen zu können“ (Preißmann 2015, S. 11). Alles, was dazu führt, die Kontrolle über das eigene Leben zu haben und selbst bestimmen zu können, ist positiv. Ungünstig ist es, die Kontrolle komplett abgeben und vollständig fremdbestimmt leben zu müssen, denn fehlende Kontrolle und fehlende Sicherheit erzeugen Angst und Stress. Auch Menschen mit Autismus müssen also dabei angeleitet werden, im Rahmen ihrer Möglichkeiten die eigenen Lebensinhalte, Maßnahmen und Ziele aktiv mitzubestimmen.

Auch die Spezialinteressen autistischer Menschen gehören zu den Ritualen, sie sollten daher als eine wichtige Ressource genutzt und keineswegs völlig verboten werden. In vielen Lebensbereichen, auch in der Schule, sind sie wichtig für die Motivation, neues Wissen zu erwerben und sich weiterführende Kenntnisse anzueignen. 

Sich-Mitteilen trotz Kommunikationsstörung

Menschen mit Autismus fällt es schwer, mit anderen Menschen in direkten Kontakt zu treten. Aber auch für sie ich es wichtig, Möglichkeiten zu erarbeiten, wie sie sich anderen mitteilen können. Viele Betroffene beschreiben, wie hilfreich für sie das Schreiben ist: „Erlebtes in Worte zu fassen hat dazu beigetragen, dass ich über einige schlimme Phasen meines Lebens hinweggekommen bin. Das Schreiben hilft mir, Dinge zu ordnen und mir Zusammenhänge bewusst zu machen. Wenn ich abends zittrig, überanstrengt und überfordert durch das Reizüberangebot in der Welt da draußen nach Hause komme, kann ich beim Schreiben Abstand gewinnen“ (Schuster 2007, S. 281). – „Man sollte autistische Menschen, wenn es eben geht, zum Schreiben bringen. Schreibend lassen sich nämlich die chaotischen Wahrnehmungen bewältigen“ (Zöller 2006, S. 80). 

Individualität

Autistische Menschen fühlen sich „anders“ als andere Menschen, sie haben andere Interessen und andere Ziele für ihr Leben. Während sie anfangs meist noch versuchen, sich anzupassen, merken sie im Laufe der Zeit oft, dass es ihnen damit nicht gut geht: „Ich habe lange Jahre konform gelebt und versucht, mich meiner Umwelt anzupassen. Habe versucht zu funktionieren. Habe versucht, tunlichst nicht aufzufallen. Habe mich verdreht. Hatte Angst, meinen Arbeitsplatz zu verlieren. Die Konsequenz war, dass ich immer schlapper, depressiver und kränker wurde“ (H. Junker, in: Preißmann 2015, S. 44). 

Vielen Betroffenen gelingt es schließlich mit einiger Lebenserfahrung, ihr ganz eigenes Leben so einzurichten, wie es für sie passt, und so authentisch wie möglich ihre Individualität zu leben. Das ist oft außerordentlich befreiend und entspannend, ehrlich und passender: „Der Druck, mich altersgemäß zu verhalten, wurde kleiner. Mein Verhalten wurde authentischer und ist es bis heute geblieben. Ich nehme mir heute schneller die Ruhezeiten, die ich brauche, um zufrieden zu bleiben“ (L. Klom, in: Preißmann 2015, S. 29).

Nach der langen Suche nach der eigenen Identität und nach der Annahme durch andere, die das eigene Leben über weite Strecken bestimmten, sind so simple Feststellungen wie: „Ich esse, trinke, schlafe und arbeite, wie es sich gerade ergibt, erfüllt von Leben und Freiheit!“ (Schäfer 2010, zit. in Vogel 2012, S. 9) zutiefst beglückend und auch für andere Betroffene ermutigend. Es ist möglich, den eigenen Weg zu finden, und die Hilfe dabei ist vielleicht die wichtigste Unterstützung, die man autistischen Menschen anbieten kann.

3. Ausblick

Im Laufe der Zeit kommt es mit der richtigen Unterstützung oft zu einer recht befriedigenden und stabilen Lebenssituation, über die sich viele Betroffene sehr glücklich zeigen.

Vieles ist und bleibt natürlich schwierig – jeden Tag, auch in meinem Leben. Aber ich habe beruflich mein Glück gefunden, bin Ärztin und Autorin und habe Beschäftigungen, die mich erfüllen. Ich habe die Wege eingeschlagen und die Ziele verfolgt, die ich selbst für richtig hielt, und ich hatte das Glück, dass sich an den entscheidenden Stellen Wege finden ließen für die auftretenden Schwierigkeiten. Für die Geduld der lieben Menschen, die mich unterstützen und mir dabei helfen, Strategien für mein Leben zu erarbeiten, bin ich unendlich dankbar. 

Literatur 

Gawronski, A., Pfeiffer, K. & Vogeley, K. (2012): Hochfunktionaler Autismus im Erwachsenenalter: Verhaltenstherapeutisches Gruppenmanual (mit Online-Materialien). Weinheim: Beltz.

Grandin, T. (1997): Ich bin die Anthropologin auf dem Mars. Mein Leben als Autistin. München: Droemer Knaur.

Preißmann, Ch. (Hrsg.) (2013a): Asperger – Leben in zwei Welten. Stuttgart: TRIAS.

Preißmann, Ch. (2013b): Überraschend anders: Mädchen & Frauen mit Asperger. Stuttgart: TRIAS 

Preißmann, Ch. (2013c): Psychotherapie und Beratung bei Menschen mit Asperger-Syndrom. 3., überarb. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer.

Preißmann, Ch. (2015): Glück und Lebenszufriedenheit für Menschen mit Autismus. Stuttgart: Kohlhammer.

Preißmann, Ch. (2017): Autismus und Gesundheit. Stuttgart: Kohlhammer.

Schuster, N. (2007): Ein guter Tag ist ein Tag mit Wirsing. Berlin: Weidler Buchverlag.

Theunissen, G. (2016): Positive Verhaltensunterstützung bei Menschen aus dem Autismus-Spektrum. Ein evidenzbasiertes Konzept zum Umgang mit herausforderndem Verhalten. In: Autismus 81, 6–21.

Vogel, J. (2012): Autismus. Erschwernisse und Bewältigungsstrategien: Rezension zum Buch „Sterne, Äpfel und rundes Glas“ von Susanne Schäfer. München.

Vogeley K. (2012): Anders sein. Asperger-Syndrom und Hochfunktionaler Autismus im Erwachsenenalter – ein Ratgeber. Weinheim: Beltz.

Willey, L. H. (2003): Ich bin Autistin – aber ich zeige es nicht. Leben mit dem Asperger-Syndrom. Freiburg: Herder.

Zöller, D. (2001): Autismus und Körpersprache. Störungen der Signalverarbeitung zwischen Kopf und Körper. Berlin: Weidler Buchverlag.

Zöller, D. (Hrsg.) (2006): Autismus und Alter: Was autistische Menschen, ihre Angehörigen, Menschen, die mit ihnen arbeiten und Verbände zu diesem Thema zu sagen haben. Berlin: Weidler Buchverlag.

 

Christine Preißmann, Dr. med.

Dr. Christine Preißmann ist Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie. Sie hat im Alter von 27 Jahren die Diagnose Asperger-Syndrom erhalten und dadurch Antworten auf viele Fragen in ihrem Leben gefunden. Derzeit arbeitet sie im Suchtbereich einer psychiatrischen Klinik in Südhessen, wo es ihr recht gut geht, da ihr der im Voraus geplante und stark strukturierte Tagesablauf sehr entgegenkommt.

 

Durch ihre Referate und Publikationen möchte Christine Preißmann über das Leben von Menschen mit Autismus informieren, von ihren Wünschen, Vorstellungen, Ressourcen und Schwierigkeiten berichten, um so zu einem größeren Bekanntheitsgrad des Autismus in all seinen Facetten und zu einem besseren Verständnis für die betroffenen Menschen beizutragen. 

Dass sie „irgendwie ein bisschen anders“ als andere war, fiel schon in der Kindheit auf. Statt zu klettern oder zu malen, beschäftigte sie sich lieber mit Flugplänen des Frankfurter Flughafens. „Ich hatte große Schwierigkeiten beim Spielen mit anderen Kindern, war eigentlich am liebsten ganz alleine“, blickt sie zurück. Weil autistische Menschen Sinneseindrücke häufig viel intensiver wahrnehmen, wurde der Schulalltag mit seinem Lärm und den Menschenmassen zur nervlichen Zerreißprobe. Dennoch biss sich Preißmann durch und studierte Medizin. Ihre Fähigkeit, schnell auswendig lernen zu können, kam ihr hier zugute, das soziale Uni-Leben überforderte sie aber zunehmend. Die ständige Reizüberflutung äußerte sich durch Kopfschmerzen und Unruhe, wenn es ganz extrem wurde, half ihr manchmal nur, sich flach auf den Boden zu legen und sich ihren Couchtisch mit der Platte nach unten auf den Körper zu legen: „Der Druck beruhigte mich rasch.“

 

Die Folgen des kräftezehrenden Kampfes machten sich dann mit Mitte 20 bemerkbar. Preißmann wurde depressiv und begab sich in psychotherapeutische Behandlung. „Mein Glück war, dass die Therapeutin sich mit Autismus-Spektrum auskannte. Es war eine große Erleichterung, zu wissen, dass es einen Begriff dafür gibt“, sagt sie heute. Nach der Diagnose konnte sie ihren Alltag mit der Unterstützung ihrer Therapeutin besser auf ihre Bedürfnisse zuschneiden. Vielen anderen Betroffenen bleibt diese Hilfe jedoch verwehrt. Preißmann setzt sich deshalb mit ihren Büchern und Vorträgen dafür ein, das Thema mehr in die Öffentlichkeit zu rücken. Eine Randgruppe sind Menschen mit Autismus-Spektrum nämlich ganz und gar nicht: Die Häufigkeit wird auf etwa ein Prozent der Gesamtbevölkerung geschätzt – die Dunkelziffer ist vermutlich noch viel höher.

Heute hat Christine Preißmann ihr Leben gut im Griff. Vor einigen Jahren ist sie aus dem Elternhaus ausgezogen und lebt jetzt allein in Darmstadt. Kontakte zu knüpfen und zu halten, fällt ihr aber nach wie vor sehr schwer, sagt sie. Mit Flugplänen beschäftigt sie sich immer noch so gerne wie schon als Kind. Ihr Mut machendes Resümee: „Inzwischen richte ich mein Leben so ein, dass es nicht nur erträglich, sondern erfüllt ist.“ 

 

Die neuesten Bücher von Christine Preißmann:

• Autismus und Gesundheit: Besonderheiten erkennen – Hürden überwinden – Ressourcen fördern. Stuttgart: Kohlhammer, 2017. (Rezension Seite 80) 

• Glück und Lebenszufriedenheit für Menschen mit Autismus. Stuttgart: Kohlhammer, 2015.

• Gut leben mit einem autistischen Kind. Das Resilienzbuch für Mütter. Stuttgart: Klett-Cotta, 2015.

 

E-Mail: ch.preissmann@gmx.de